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Live-Event der Superlative

Statt eines Seminars vor Ort in Schwandorf bot HORSCH in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie eine Alternative. Ein Live-Event mit zahlreichen Vorträgen und Gastrednern zu verschiedenen Themen, unter anderem zur Zukunft des Diesels oder der Vermarktung von Bioprodukten und Biogetreide.

„Schon wieder Corona-Lockdown“ werden sich viele Teilnehmer gedacht haben, als der Februar näher rückte und damit auch das traditionelle HORSCH Seminar am Sitzenhof in Schwandorf. Schon 2020 musste das Seminar wegen der Pandemie abgesagt werden.
Nach dem sehr erfolgreichen digitalen Feldtag im Herbst des letzten Jahres stand fest, dass auch das Seminar in diesem Jahr online stattfinden soll. Allerdings in einer neuen Form. Ein Seminar, das es so in der ganzen Landtechnikbranche noch nicht gegeben hat. Die Idee für HORSCH Live war geboren. Über drei Tage fanden Vorträge mit Referenten aus verschiedenen Ländern statt. Neben den klassischen Vorträgen gab es außerdem vielseitig besetze Talkrunden.
Die Teilnahme war unkompliziert über YouTube, Facebook oder die HORSCH Internetseite möglich. Um Fragen zu stellen oder sich mit anderen Teilnehmern auszutauschen und zu diskutieren, konnte man das Chatforum nutzen. Die Moderation der gesamten Veranstaltung sowie die Fragerunden wurden in der deutschen Version von Michael Braun (Sales Support) übernommen. Die englischen Beiträge und Diskussionsrunden moderierte Johannes Hottenbacher (Regional Sales Manager).
Um technische Pannen oder Verbindungsabbrüche zu verhindern, wurden viele Vorträge vorab aufgezeichnet. Zudem wurden die Internetverbindung und die Onlinesysteme mit allen Referenten getestet, damit es auch in den live übertragenen Diskussions- und Fragerunden keine Probleme gab. Ein Team baute in der großen Ausstellungshalle, in der in Schwandorf immer das Seminar stattfindet, ein HORSCH Live Studio auf.
Der Aufwand hat sich gelohnt. Insgesamt schauten über drei Tage vom 23.2. bis zum 25.2.2021 2830 Zuschauer live zu und bis Ende Mai hatte HORSCH Live insgesamt 500.000 Menschen erreicht!
Die Talkrunden „Bleibt der Diesel der Leistungsträger im Feld?“ und „Vermarktung von Biogetreide/Bioprodukten jetzt und in der Zukunft. Welche Chancen und Risiken birgt eine wesentliche Erhöhung der Bioanbaufläche?“ werden wir in diesem Artikel noch ausführlich zusammenfassen.

Schauen Sie sich hier nochmals alle Vorträge an.

Ein bunter Strauß an Themen – für jeden etwas dabei.

Am Abend des 23.02.2021 startete HORSCH Live mit einer spannenden Talkrunde zum Green Deal der EU. Guido Höner (Chefredakteur von Deutschlands größtem Agrar Monatsmagazin TopAgrar) stellte sich zusammen mit Michael und Philipp Horsch sowie Theo Leeb den Fragen von Michael Braun. Klar wurde dabei, dass die Entscheidungen, die in der EU und ihren Mitgliedsländern getroffen werden, auch die internationalen Agrarmärkte beeinflussen und dass die Regeln in vielen Bereichen auch eine Chance für die Landwirte sein können.

CO2 im Boden speichern, Direktsaat und Pflanzenschutz mit Mikroorganismen und Bakterien

Der zweite Tag von HORSCH Live begann mit dem aktuell viel diskutierten Prozess der CO2-Speicherung im Boden. Hier wurde ausführlich die mikrobielle Carbonisierung als Kompostmethode und die kohlenstoffspeichernde Bodenbewirtschaftung vorgestellt.
Gleich zwei Experten im Bereich Direktsaat teilten danach ihre Erfahrungen mit. Der erste war Ulrich Zink, der aufzeigte, welche Erfahrungen er seit bereits 20 Jahren mit der Direktsaat von Getreide und Raps in Mitteldeutschland hat. Auf ihn folgte mit Julien Senez der erste internationale Redner. Auch der Franzose setzt auf Direktsaat und zeigte anhand echter Betriebszahlen, wie sich das Ganze für ihn rechnet.
Darauf folgten drei Fachvorträge aus dem HORSCH Portfolio zu den Themen Trends im Pflanzenschutz, höchste Qualität bei Verschleißteilen und neue Technik für die mechanische Bestandespflege.
Den zweiten Nachmittag des Seminars gestalteten zwei internationale Referenten aus Brasilien. Der Landwirt Gregory Sanders sprach über den biologischen Pflanzenschutz auf den Betrieben der Grupo Progresso. Er zeigte auf, welch lange Historie der Einsatz von Bakterien und Mikroorganismen in Brasilien hat und welche massiven Fortschritte hier gerade in den letzten Jahren erzielt wurden. Er rechnete vor, dass durch den Einsatz dieser Biocontrol Maßnahmen im Vergleich zum konventionellen Pflanzenschutz in zwei Ernten auf seinen rund 50.000 ha fast eine Million Dollar pro Jahr eingespart werden. Nahtlos an diesen Vortrag anschließen konnte Gustavo Hermann vom Unternehmen Koppert Biological Systems. Seine Firma stellt inzwischen viele dieser Biocontrol Mittel und auch Biostimulanzien zum Düngerersatz her. Er zeigte, was hier in Zukunft noch möglich ist und gab auch Einblicke in die Forschungszentren Brasiliens, die sich mittlerweile ausschließlich mit dieser Thematik befassen. Nicht nur im Bereich Soja, sondern auch bei Baumwolle oder Kaffee unterstützt seine Firma Maßnahmen, die Herstellungsprozesse transparenter machen, um zum Beispiel auch beim Import aufzuzeigen, wie genau die eingeführten Agrarprodukte hergestellt wurden – Stichwort GMO free – frei von genetischer Veränderung.

Getreide hacken, Sojaanbau und Intercropping

Den dritten HORSCH Live Tag eröffnete der Landwirt Moritz Lampe (Mitgründer der Weser Bio GbR) mit Tipps zum Hacken von Getreide in 25 cm Reihenabstand. Er bezeichnete die Hacke in manchen Situationen sogar als „Risikolebensversicherung“ für den Landwirt. Er empfiehlt, eine Hacke mit der maximal möglichen Technik auszustatten, gerade für ein präzises Arbeiten, und unbedingt an die Sätechnik anzupassen, im Optimalfall an eine einzige Sämaschine.
Unter dem Motto „Ist doch nur Stahl“ stand der Beitrag über die Qualitätssicherung bei HORSCH, gefolgt von einem Vortrag zum Themenkomplex Intelligence, unter dem HORSCH seine digitalen und automatisierten Technologien bündelt, wie auch die neue Connect Plattform, die zum Beispiel Auswertung, Datenübertragung oder Servicethemen bei Maschinen umfasst.
Der Geschäftsführer der N.U. Agrar, Ferenc Kornis, zeigte auf, wo Deutschland im europäischen Vergleich beim Anbau von Soja steht. Er erklärte, worauf Landwirte hierzulande bei Soja achten müssen und unter welchen Voraussetzungen sich gute und konkurrenzfähige Erträge erzielen lassen. Denn gerade beim GVO-freien Soja gibt es einen großen Bedarf an heimischen Erzeugnissen.
Darauf folgten zwei internationale Referenten aus Kanada. Joel Williams berichtete von seinen Erfahrungen im Bereich Intercropping in Kanada. Hier werden zwei Kulturen auf einem Acker gemeinsam angebaut und geerntet. Direkt daran schloss sich der Vortrag von Joe Wecker an. Er berichtete, welche Kulturen beim Intercropping auf seinem Betrieb zum Einsatz kommen und was hier von der Aussaat über die Düngung und Bestandspflege bis zur Ernte zu beachten ist. Lesen sie dazu auch den Bericht. 

Den Abschluss des dritten Tages und damit auch von HORSCH Live insgesamt übernahm Constantin Horsch, der zusammen mit seinem Bruder Lucas den Betrieb AgroVation im tschechischen Kněžmost leitet. Er nahm die Zuschauer mit auf die Reise von den Anfängen des Betriebes, über seine Entwicklung als HORSCH Forschungsbetrieb bis hin zum heutigen Stand, wo bereits ein Teil der Flächen in Ökolandbau umgewandelt wurden.

Alles Diesel oder was

Unter dem Titel „Bleibt der Diesel der Leistungsträger im Feld?“ sprach Michael Horsch mit Werner Kübler von MAN Engines, einem Branchenexperten mit vielen Jahren Erfahrung im Bau von Hochleistungsindustriemotoren.
Diese Motoren und Triebwerke finden sich in verschiedenen Marktsegmenten und Produkten wieder, unter anderem in Lkw, Bussen und Bahnanwendungen, in Booten und Schiffen, aber auch in der Industrie und in Biogasanlagen im Agrarbereich. Insgesamt produziert die Firma rund 10.000 Motoren jährlich in der Leistungsklasse von 50 bis über 2.000 PS. Im Fokus steht gerade im Agrarbereich der Endkunde und dessen Bedürfnis nach möglichst hoher Leistung bei einem möglichst geringen Kraftstoffverbrauch.

Seit 1995 unterliegen die Dieselmotoren immer strengeren internationalen Abgasvorschriften, unterteilt in die Regulierungsklassen Tier 1 bis aktuell Tier 4. In der Motorenentwicklung spielt neben der generellen Effizienz die Emissionsreduzierung eine große Rolle. Allein die Reduzierung der NOx Stickoxidemissionen beträgt seit 1995 etwa 96 %. Die Anforderungen bis Tier 3 wurden allein durch eine stark verbesserte Einspritztechnik und Optimierungen im Brennraum erreicht. Doch schon erste Ansätze bei Tier 3 und schließlich Tier 4 machten reinigende Katalysatoren für alle Entwicklungen zur Pflicht. Bei den Partikelgrenzwerten verhält es sich ähnlich. Auch hier fand eine Reduktion um ca. 96 % statt und auch hier machte erst die Abgasnorm Tier 4 den Einsatz eines Partikelfilters notwendig. „Das Emissionsniveau, das wir jetzt haben, ist von den Werten grob vergleichbar mit Euro 6 bei den Lkw“, so Kübler. Damit seien die Motoren aktuell schon sehr sauber.

Auf die Frage, was nach Tier 4 kommt, betont Kübler, dass Europa und die USA zwar leicht unterschiedliche Wege gehen, das Ziel aber grundsätzlich das gleiche sei. Es muss ein Nachweis über die Emissionswerte bei der praktischen Arbeit im Feld erfolgen.
Selbst unter höchsten Leistungsspitzen müssen dann sämtliche Grenzwerte eingehalten werden. Alle Veränderungen, die die Entwickler an den Maschinen vornahmen, dienten jedoch auch der Leistungsdichte und dem geringeren Verbrauch, auch wenn dies durch immer strengere Abgasnormen angestoßen wurde, so Kübler.  

Zu diesem Zeitpunkt folgten bereits einige Fragen der Zuschauer, vor allem zur Effizienz der neuen Motoren mit Abgasnachbehandlung. Bei den Landwirten und Schlepperfahrern komme trotz auf dem Papier gestiegener Leistung weniger Power an, wenn sie auf das Gaspedal treten.
Die Erklärung, die Kübler hierfür liefert, ist, dass vor 1995 das Gaspedal mechanisch direkt mit dem Motor verbunden war und somit prompt reagierte. Zur Verminderung der Emissionsspitzen wird heute eine digitale, regelnde Elektronik verbaut, die es früher so nicht gab. So kann das Gefühl eines gewissen Regelungsverzugs vermittelt werden. „Jeder Motor wird von der Abnahmebehörde abgenommen und geprüft und muss somit auch die angegebene Leistung erbringen“, versichert Kübler. Der Kunde spüre die Leistung auch durch die Traktion über das Rad oder an der Zapfwelle, was eben auch ein Faktor sein könne für eine gefühlte Leistungsminderung.

„Es ist klar, dass der Motor die angegebene Leistung hat. Diese kommt aber gefühlt nicht so an wie bei einem alten Schlepper, der nicht geregelt war“, bestätigt Michael Horsch.

Auf die Frage nach künftigen Antriebsformen zeigte Kübler eine Darstellung mit verschiedenen Motoren- und Treibstofflösungen für Traktoren. Als Beispiel diente ein Traktor mit 139 kW Leistung, der 3,5 Stunden intensive Bodenbearbeitung betreibt. Verglichen wurden unter anderem Diesel, Flüssiggas (LNG), zwei verschiedene Wasserstoffsysteme und ein Elektromotor.
Bei diesem Vergleich wird deutlich, wie wichtig das jeweilige Gewicht des Tanks zusammen mit Kraftstoff bzw. Batterie ist, aber auch der Platzbedarf und die Kosten für Tank, Batterie und den Kraftstoff/Strom selbst.
Ein Drucktank für Gas verbraucht viel Platz im Bauraum. Die Kosten für Flüssiggas liegen als einzige nur minimal über den – vergleichsweise – geringen Kosten des Dieselantriebs. Bei Wasserstoff wiegt der Tank dreimal so viel, hat ein wesentlich höheres Volumen und das Tanksystem ist wesentlich teurer. Bei Elektroantrieben liegen die Batteriekosten bei einem Tag Standardarbeit im Feld bei etwa 144.000 €. Dazu komme ein Volumen, das ca. 2.400 Litern Diesel entspreche, und ein Gewicht von 2,8 Tonnen, erklärt Kübler. Damit steht für Michael Horsch fest: „Wir kommen eigentlich um den Diesel oder einen dieselähnlichen Kraftstoff am Ende in der Landwirtschaft […] nicht herum.“
Einfach Diesel durch Biodiesel zu ersetzen, sei aber sehr aufwendig, da dieser zunächst verestert werden müsse, um später sauber und effizient im Motor zu verbrennen, so Kübler. Wenn man das Ziel der CO2-Reduzierung ernst nimmt, muss vermehrt auf erneuerbare Energie bzw. Strom aus Sonne, Wind oder Biomasse gesetzt werden.
Beim Thema Nachhaltigkeit landet man bei synthetischen Kraftstoffen. Ein synthetischer Kraftstoff wird erzeugt, indem man mit Strom aus Sonnen- oder Windenergie in einem Elektrolyseverfahren Wasserstoff herstellt. In der Verbindung mit CO2 können daraus zahlreiche Kraftstoffe hergestellt werden.
Doch das Problem liegt in der Menge. Für die Herstellung braucht es großtechnische Anlagen, die solche Kraftstoffe günstig herstellen, sowie genug Strom aus Sonne oder Wind. Und es besteht immer noch das Problem der Versorgung mit dem Kraftstoff in der Fläche. Es müsste hier also erst einmal ein komplett neues Tankstellennetz aufgebaut werden, so Kübler. Die Wende zum Elektromotor zeigt, wie schwierig das ist. „Wenn man in Richtung synthetischer Kraftstoff denkt […], dann müsste man eigentlich einen Kraftstoff machen, der der heutigen Normung entspricht. Sprich, der morgen in jedes Dieselfahrzeug eingesetzt werden kann“, erklärt Kübler.
Auf die Frage aus dem Live-Chat, warum MAN und Daimler Lkw mit Elektromotoren vorgestellt haben, antwortet Kübler, dass hier die Gesetzeslage eine Rolle spiele.

Der Hersteller muss die Gesamtflotte im Blick haben, um die Emissionsziele zu erreichen und Strafzahlungen zu vermeiden. Momentan gehe das nur mit Elektromotoren, da hier die Herstellung nicht berücksichtigt wird und batteriebetriebene Fahrzeuge als Zero-CO2-Emittenten gewertet werden. Deshalb sei es sinnvoll, auch E-Antriebe in der Flotte zu haben, um den Flottenwert zu erreichen bzw. unter das vorgeschriebene CO2-Limit der Flotte zu kommen.

Europa und Deutschland seien gut darin, Innovationen und Technik schnell zu entwickeln und voranzubringen. Allerdings dauere es hier deutlich länger, eine Infrastruktur auszubauen und so werde die Erreichung der Klimaziele Geld kosten und Zeit brauchen, beendete Kübler seinen Vortrag.

Mehr Bio in der Corona-Pandemie – doch wie geht es weiter?

Das Thema des zweiten HORSCH Live Abends war „Vermarktung von Biogetreide/Bioprodukten jetzt und in der Zukunft. Welche Chancen und Risiken birgt eine wesentliche Erhöhung der Bioanbaufläche?“. Hier sprach Michael Horsch unter anderem mit Stefanie Strebel (Gründerin und Geschäftsführerin der KS Agrar GmbH und der Ceresal GmbH), Klaus Bergman (Geschäftsführer der Bergmann GmbH), Jörg Große-Lochtmann (Geschäftsführer der Bio Kontor GmbH, der Öko Service GmbH sowie Vorstand der Marktgesellschaft der Naturland Bauern) und Christof Mross (Geschäftsführer Food Lidl Deutschland).
Die Begleitumstände der Corona-Pandemie haben in Deutschland dazu geführt, dass mehr Menschen ihr Ernährungs- und Einkaufsverhalten hinterfragen. So zeige die Auswertung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), dass die Menschen ökologischer konsumieren. Faktoren wie Umwelt- und Klimaschutz sowie artgerechte Tierhaltung spielen dabei eine große Rolle. Diese Entwicklung sei auch deutlich aus den Umsätzen des Biofachhandels zu entnehmen. Die Zunahme liege bei etwa 30 Prozent, so Michael Horsch. Der Trend zu nachhaltigerem Konsum sei aber auch schon die Jahre davor beobachtet worden, so Jörg Große-Lochtmann. Die Pandemie habe den Trend allerdings verstärkt.

Dass die Leute trotz der unsicheren Lage zu teureren Bioprodukten greifen, liegt für Klaus Bergmann vor allem am Verzicht auf den Verzehr außer Haus: „Die Menschen sind gezwungen, zu Hause zu kochen. So bleibt im Portemonnaie mehr Geld übrig“. Er hoffe, dass dies auch nach der Pandemie so bleibe oder sich sogar weiter verstärke. Der vermehrte Griff zum Bioprodukt hat für Stefanie Strebel auch etwas mit gesundheitlicher Prävention während der Pandemie zu tun, weshalb sie davon ausgeht, dass dieser Trend über die Pandemiezeit hinaus bestehen bleiben wird.

Christof Mross konnte diese Statistiken seitens Lidl aber auch mit Zahlen ergänzen, die diese Entwicklung in einem schwierigen Bild beleuchten. Kunden, die bereits vor der Pandemie preisbewusst eingekauft haben, kaufen nun noch preisbewusster ein. Kunden, die verstärkt ökologisch einkaufen, haben dies während der Pandemie auch verstärkt getan. Die Konsumgewohnheiten haben sich verstärkt und potenziert. „Die Schere ging deutlicher auseinander. Wenn man es auf die Gesellschaft übertragen möchte, ist eine deutlichere Spaltung sichtbar“, so Mross. Allerdings ist auch er überzeugt, dass die Menschen durch die Pandemie mehr darauf achten, was und wie sie konsumieren und dass dieser Trend auch langfristig bleiben wird. Dieses zeige auch die hohe Frequentierung von Hofläden.

Bewusste Ernährung bedeute auch einen gewissen Verzicht auf Fleisch, betont Michael Horsch und stellt gleichzeitig die Frage, ob auch dies ein weiterer Trend sei. Der Anteil der Flexitarier, also derer, die zwar Fleisch essen, aber auch viele vegetarische oder vegane Produkte konsumieren, wird laut Große-Lochtmann weiter zunehmen. Das hilft dann nicht nur dem Tierwohl, sondern auch dem ökologischen Landbau, der Natur und dem Menschen selbst. „Die deutsche Gesellschaft für Ernährung würde sagen: wenn jemand alles, was ein Deutscher heute für Fleisch ausgibt, für Ökofleisch ausgibt, dann hat er genau die richtige Menge gegessen“, so Große-Lochtmann über seine Sicht eines gesunden Flexitarismus. Der Fleischverzehr wird insgesamt weiter abnehmen. Das zeigt auch die vermehrte Nachfrage nach Fleischersatzprodukten auf Pflanzenbasis. Aber auch Milchprodukte und Fisch werden immer mehr durch pflanzliche Alternativen ersetzt. „Die Lebensmittelindustrie krempelt wirklich alles auf pflanzenbasiert um“, ergänzt Stefanie Strebel. Dies bestätigt den Wunsch der Gesellschaft nach nachhaltigeren und gesünderen Lebensmitteln sowie mehr Tierwohl.

Bei der Frage, ob es für den Landwirt Sinn macht, auf Bio umzustellen, ist für Stefanie Strebel besonders wichtig, auch den globalen Markt zu betrachten. Auf jedem Bioprodukt im LEH (Lebensmitteleinzelhandel) befindet sich das EU-Biolabel. Dies ist aber für den Verbraucher nicht sehr aussagekräftig, da auch Bioprodukte aus Osteuropa importiert werden. Somit kann die Ware überall aus der Welt herkommen, solange sie nach EU-Standards für Bio produziert wurde. Die Konkurrenz ist also groß, da außerhalb der EU aufgrund verschiedener Faktoren deutlich billiger produziert werden kann. Man müsse hier dem Verbraucher viel klarer machen, woher die Lebensmittel eigentlich kommen, indem man zum Beispiel eine CO2-Bilanz auf den Produkten ausweise und dem Verbraucher so die Möglichkeit biete, auch auf Regionalität zu achten, findet Strebel.

Eine saubere Ausweisung der Lieferkette und des erzeugten CO2 sei zwar transparent, aber mit enormem Aufwand verbunden, so Christof Mross. Die Motivation der Verbraucher für heimische (Bio-) Lebensmittel zu wecken sei der deutlich leichtere Weg, als über die Lieferkette zu gehen. Deswegen bestehe bei Lidl auch das Ziel, die importierten EU-Biowaren immer mehr durch regionale Produkte von Bioland zu ersetzen. „Den Kunden zu erziehen und ihm vorzuschreiben, was er kaufen soll, funktioniert nicht“, so Mross. Es bestehe nur die Möglichkeit, Angebote zu machen und den Kunden entscheiden zu lassen. Lidl wolle die Kunden lieber motivieren als erziehen. Dabei sind vor allem Aufklärung und Informationen wichtig.

Ein weiteres Ziel ist es, die heimische Bioproduktion wirtschaftlicher zu gestalten, ohne die Biobauern von staatlichen Subventionen abhängig zu machen. „Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen den Verbraucher aufklären, damit er heimisches Bio präferiert und zum anderen die Flächenproduktivität bei uns steigern, damit heimisches Bio im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig ist“, erklärt Strebel.

Ob es Sinn macht, heute noch auf Bio umzustellen, hängt am Ende individuell von jedem Betrieb, seinen Flächen, Böden, dem Tierbestand und auch der regionalen Vermarktbarkeit der Produkte ab. Auf die Frage, was mit den Preisen passiert, wenn der Bioanteil und der Ertrag steigen, sagt Jörg Große-Lochtmann, dass der Handel, die Verarbeiter und die Erzeuger enger zusammenarbeiten müssen. Wenn die Produktionsmenge bei Bio steigt, muss der Handel auch weiterhin langfristige Lieferverträge zu guten Konditionen zusichern. Während der hohen Nachfrage nach Dinkel vor ein paar Jahren wäre sogar der Preis für konventionellen Dinkel angestiegen, nachdem es Engpässe beim Biodinkel gab, so Jörg Große-Lochtmann. Der Preis wird bestimmt von Angebot und Nachfrage. „Im Ökobereich oder im Biobereich ist es ein anderer Markt, der gehorcht aber auch Angebot und Nachfrage“, ergänzt Mross.

Am Ende der abwechslungsreichen und spannenden Talkrunde zieht Michael Horsch ein positives Resümee. Die Ökolandwirtschaft habe auf jeden Fall eine Zukunft und sei auch langfristig neben der konventionellen Landwirtschaft lukrativ. Beim Thema Klima wird das Ganze von politischen Leitplanken begleitet, die aber für alle - Industrie, Händler oder Landwirtschaft - die gleichen Maßstäbe haben müssen. Die Landwirtschaft bietet heute viele Innovationen und Entwicklungen. „Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir aufhören, konventionell gegenüber Bio aufzurechnen, sondern die Systeme müssen sich begegnen“, so Bergmann. Nur so könne man einen gemeinsamen Konsens finden, der einen gesünderen Konsum mit sich bringe.