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HORSCH Seminar 2020

Die Zukunft ist nah (Jay Tuck)

Für den Gesellschaftsabend bei den HORSCH Seminaren war ein Vortrag des Sicherheitsexperten und Journalisten Jay Tuck zum Thema „Die Zukunft ist so nah wie nie – Die Revolution der künstlichen Intelligenz“ geplant. Stattdessen wurde dieser dann live auf Facebook übertragen.

Online statt vor Ort

Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Für die Organisatoren war es ein schwerer Schritt, das HORSCH Seminar 2020 abzusagen. Schließlich war schon alles vorbereitet, rund 700 Gäste hatten sich auf ihre Teilnahme gefreut. Im Nachhinein hat sich jedoch gezeigt, dass die Entscheidung absolut richtig war. Zu groß wäre das Risiko einer Virus-Verbreitung bei so vielen Menschen aus der ganzen Welt auf so engem Raum gewesen. Als kleine Entschädigung gab es zwei Vorträge als Livestream auf Facebook. Für terraHORSCH haben wir diese zusammengefasst.

Verschiebung der Wertschätzung

Jay Tuck begann seinen Vortrag mit einem kurzen Ausschnitt des Filmes „Top Gun 2“, der eigentlich im Juli 2020 in die deutschen Kinos kommen soll. Mit üppigen Actionszenen soll hier der Eindruck vermittelt werden, mit wie viel High-Tech heute Kriege geführt werden. „In den Augen der echten Navy-Piloten ist das jedoch alles Schnee von gestern“, sagt Tuck. „Bezeichnend aber ist, dass im Mittelpunkt ein heldenhafter „Top Gun“, also ein Spitzen-Pilot, gespielt von Tom Cruise, steht. Nur: diese Art von Mensch ist heute Makulatur. In der jetzigen US-Luftwaffe sind nicht die bemannten Flugzeuge die Zukunft, sondern unbemannte Drohnen. Mit ihnen kann man um die halbe Welt fliegen. Gesteuert werden sie von jungen Kids. Sie wurden danach ausgewählt, wie gut sie mit der Play-Station spielen können. Sie sitzen in Containern auf einem geheimen Gelände in New Mexico und töten per Joystick Menschen im Jemen, in Pakistan, Afghanistan, Somalia und in vielen anderen Orten, die wir gar nicht kennen. Dabei ist aber die Drohnentechnologie nicht neu, sondern bereits 20 Jahre alt. Und überlegen sie sich einmal, auf welchem Stand ihr Mobil-Telefon vor 20 Jahren war.

Zur Person: Jay Tuck

Geboren und aufgewachsen in den USA verschlug es den studierten Volkswirt und anerkannten Kriegsdienstverweigerer Jay Tuck während seines Zivildienstes nach Deutschland. Dort war er in Hamburg in der Jugendarbeit tätig. Seine Laufbahn als TV-Journalist begann er beim NDR als Lokalreporter, später dann als investigativer Reporter für die Magazine Panorama und Monitor. Er berichtete für die ARD-Tagesschau vor Ort von den beiden Golfkriegen und leitete dann zwölf Jahre als verantwortlicher Redakteur die ARD-Tagesthemen. Außerdem produzierte er viele Dokumentarfilme für renommierte Fernsehsender. Seit seiner Pensionierung bei der ARD arbeitet Jay Tuck bei einem internationalen Medienunternehmen in Dubai, produziert aber weiterhin Dokumentationen für deutsche Sender. Daneben war beziehungsweise ist Tuck für zahlreiche Print-Magazine als Autor tätig, schreibt Bücher und ist Vortragsredner und Keynote-Speaker.
Sehr stark beschäftigt er sich mit Sicherheitsthemen. Sein aktuelles Buch ist im Jahr 2016 im Plassen Verlag erschienen. Es trägt den Titel „Evolution ohne uns“. Dabei geht es um Künstliche Intelligenz.

Ich konnte solche Drohnen einmal in der Simulation selbst steuern“, erzählt Jay Tuck weiter. „Das war sehr spannend. Sie haben viele Vorteile gegenüber bemannten Flugzeugen. Wir Menschen haben so viele Schwächen: Wir brauchen Sauerstoff, einen bestimmten Luftdruck, Aus- und ständige Fortbildung, eine Piloten-Lizenz – was alles Geld kostet. Im Jet muss ein Schleudersitz für Notfälle vorhanden sein, der schwer ist und Nutzlast wegnimmt. Das Beste ist doch, man entfernt diese Schwachstelle aus den Kampfflugzeugen. Auch das ist bereits Realität. Vielfach fliegt bereits ein Roboter. Dieser ist immer in Hochform, hat keinen Streit mit seiner Ehefrau gehabt oder einen Kater, weil er am Tag zuvor zu viel getrunken hat – die menschlichen Schwächen sind ausgemerzt. Und: Wir bringen keine Menschen in Gefahr, wenn die Fluggeräte in Kampfgebieten unterwegs sind!
Interessant bei dieser Entwicklung ist: Die Navy-Piloten bekommen am Ende ihrer Ausbildung ein Fliegerabzeichen als Auszeichnung, auf das sie sehr, sehr stolz sind. Aber die Play-Station-Kids erhalten diese Auszeichnung auch. Obwohl sie eigentlich überhaupt nicht fliegen können. Das macht die Piloten richtig wütend…“

Zeit für Anpassung

„Bei der Einführung neuer Technologien gibt es zwischen der Erfindung und der flächendeckenden Einführung immer eine gewisse Verzögerung“, sagt Jay Tuck. „Das war schon bei Guttenberg so: Es hat hunderte von Jahren gedauert, bis die Menschen wirklich angefangen haben zu lesen und Bücher überall verbreitet waren. Die Gesellschaft hatte Zeit, sich an die Neuerung zu gewöhnen. Oder nehmen wir die Dampfmaschine: Zwischen ihrer Erfindung und der technischen Revolution mit Lokomotiven als Transportmittel und der industriellen Serienfertigung, die sie ja letztlich ausgelöst hat, lagen Jahrzehnte. Es gab aber auch schon damals Menschen, die gegen diese neuen Dinge waren. Sie sind sogar in die Fabriken gegangen und haben die Maschinen kaputt gemacht. Denn sie hatten recht mit der Vermutung, dass die Dampfmaschine ihren Arbeitsplatz gefährdet. Aber auch da hatten wir Zeit, uns daran zu gewöhnen. Es gab Diskussionen mit den verschiedensten Gruppen, wie Gewerkschaften usw.
Das Ganze lässt sich auch in Zahlen fassen: Von der Einführung bis zu dem Zeitpunkt, als es 50 Mio. Anwender gab, dauerte es beim Auto 62 Jahre, beim elektrischen Strom 46 Jahre, beim Mobiltelefon 12 Jahre, bei Facebook 4 Jahre und bei Pokémon Go nur noch 19 Tage. Das ist das Fenster, in denen sich die Gesellschaft mit ihrer Gesetzgebung, den Moralvorstellungen und den Arbeitsbedingungen auf diese Neuerungen einstellen konnte. Für mich ist es kein Wunder, dass es immer noch so viele Menschen gibt, die sich noch nicht an ihr Smartphone gewöhnt haben. Ja, dass einige ältere Menschen überhaupt nicht verstehen, was ihre Enkel damit machen. Sie hatten schlichtweg keine Zeit zu begreifen. Weil alles so schnell geht.
Ein Beispiel: Neulich war ich bei meiner Zahnärztin. Auf einmal habe ich vom Stuhl aus im Sprechzimmer ein Piepsen gehört. Als ich gefragt habe, was das sei, sagte sie: „Es ist ein Roboter, mit dem die Zahnlücke ausgemessen wird. Er berechnet dann das Implantat, ich muss nur noch Material und Farbe aussuchen. Eine Stunde später ist das fertige Teil da.“
So etwas dauerte früher Wochen. Mit der neuen Technologie fällt ein ganzer Wirtschaftszweig weg. Dabei ist die Maschine aber nicht nur schneller, wie mir die Ärztin sagte, sondern zusätzlich präziser und preisgünstiger. Auch hier bestätigt sich wieder: Jemand erfindet eine Maschine und es verändert sich die Welt. Manchmal ist die Einführung von Neuerungen gebremst, zum Beispiel durch die Notwendigkeit von Zulassungsverfahren inklusive Prüfungen, Vorprüfung usw., wie bei Medikamenten, Stichwort: Corona. Bei anderen Dingen, die teilweise auch radikale Änderungen bewirken, ist das nicht vorgeschrieben. Sie kommen einfach auf den Markt und es geht los. Und ändern unser Leben.“

Bereits Realität

Warum die Menschen mit dem Thema Künstliche Intelligenz so schwer umgehen können, erklärt Jay Tuck damit, dass sie sich nicht linear entwickle, sondern exponentiell. „Das können wir so überhaupt nicht erfassen“, sagt der Journalist. „Deshalb begreifen wir die Folgen nicht.“ Im Übrigen, so seine Meinung, stecken wir bereits mittendrin. Künstliche Intelligenz habe den Menschen in einigen Bereichen bereits überholt und sei schon haushoch überlegen.
Ein Beispiel: Tuck wollte als Jugendlicher Börsenmakler werden. Wie die oben genannten Berufe, Pilot oder Arzt, ist das ein zwar stressiger, aber angesehener und gut bezahlter Beruf. Damals hatte die größte Bank der Welt rund 600 Börsenmakler. Heute sind es – wenn überhaupt – noch zwei! Die Arbeit machen heute Computer, die weltweit die verschiedensten Dinge beobachten und die Auswirkungen auf die Börsenkurse hochrechnen. Klar habe es da anfangs auch folgenreiche Fehler gegeben, aber es sei eben ein Hauptmerkmal der Künstlichen Intelligenz, dass sie dazulerne.
Die positiven Auswirkungen sind bereits spürbar. „Ich habe mit Radiologen renommierter Kliniken gesprochen. Sie alle bestätigten mir, dass der Computer auf Röntgenbildern Krebs genauer und in einem viel früheren Stadium erkennen könne als sie selbst. Einerseits ist das natürlich ein Armutszeugnis, andererseits eine riesige Chance. Ähnlich ist das bei vielen anderen Krankheiten – Alzheimer, Herzinfarkt – bisher stützen sich die Erkenntnisse der Medizin auf relativ begrenzte Erfahrungen. Mit Big Data können künftig riesige Stichproben und die Verbindung verschiedenster Faktoren untereinander analysiert werden. Da muss zwar noch einiges international standardisiert werden, was personalintensiv und teuer ist, aber wenn das einmal geschafft ist, können wir Sprünge nach vorn machen, die wir uns heute kaum vorstellen können.“
Jay Tuck machte noch einen kleinen Ausflug in die Sicherheitstechnik. Er zeigte ein Luftbild des NSA, das von einer Drohne aus einer Höhe von 20.000 m aufgenommen wurde. Auf ihm erkennt man Autos sowie Menschen. Und beide kann man identifizieren. Die Autos anhand der Nummernschilder, die Menschen anhand ihres Ganges. „Man denkt immer, die Erkennung funktioniert nur über das Gesicht“, erklärt Tuck. „Geheimdienste arbeiten aber meistens mit Kameras von oben. Es ist sogar möglich zu analysieren, ob sich jemand verdächtig oder misstrauisch bewegt.“ Das Zeitalter der Expertise werde durch das Zeitalter der Daten ersetzt.
In der Landwirtschaft beginne die Erfassung von Daten langsamer. Aber auch hier werde schon einiges praktiziert, wie die Gesichtserkennung von Kühen. Das funktioniere besser, als es mit Ohrmarken möglich sei. Bei Schweinen sei es sogar möglich zu scannen, in was für einem Gemütszustand sie sich befinden.
„Die Bevölkerung will heute wissen, woher ihr Essen kommt“, sagt Jay Tuck. „Der Stempel auf den Eiern über die Herkunft ist da nur ein kleiner Anfang. Ich selbst war an einem Projekt beteiligt, wo sehr viel mehr Daten, angefangen von der Genetik der Legehennen über das Futter quasi bis zu Bratpfanne, zusammengeführt werden. So etwas sorgt aber nicht nur für Transparenz, es kann auch helfen, das eigene Geschäft profitabler zu machen. Oder der selektive Pflanzenschutz, der teilweise ja schon praktiziert wird. Hier ist es möglich, hunderte von Tonnen Pflanzenschutzmittel einzusparen – eine eindeutige Forderung der Bürger an die Landwirtschaft.“ Tuck zeigte noch einige Videos von autonom fahrenden Traktoren. „Nichts Besonderes“, so sein Kommentar dazu. „Aber für mich als Fernseh-Journalist natürlich schöne Bilder. Sie können dabei helfen, den Beruf wieder interessant zu machen. Denn Landwirtschaft hat nicht nur mit schmutzigen Gummistiefeln zu tun. Jeder Unternehmer, auch der Landwirt, muss lernen, mit Big Data umzugehen. Das kann über Leben und Tod seines Betriebes entscheiden.“Aber was ist mit der Sicherheit der Daten? Tuck nannte das Beispiel Mobiltelefon, mit dem bereits jeder Nutzer eine ganze Menge Daten preisgibt. Zwar versprechen die System-Anbieter Sicherheit, allerdings ziehen die Apps Daten. Das könne eine Menge von 1,5 GB pro Monat sein! Die sensibelsten Daten überhaupt seien die Suchbegriffe. Im Online-Handel werden solche Benutzerprofile dazu genutzt, Preise zu individualisieren.
„Hat Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein? Kann sie fühlen?“, stellte Jay Tuck am Schluss die alles entscheidende Frage. „Man weiß es noch nicht. Aber sie hat einen Lebenswillen und sie verteidigt ihre Existenz. Man hat das zum Beispiel daran gesehen, als ein amerikanischer Satellit am Ende seiner Nutzungsdauer in die Erdatmosphäre gesteuert wurde, um dort zu verglühen. Selbst im ‚Todeskampf‘ erfüllte er noch seine wichtigste Funktion: seine Antennen so auszurichten, dass er Verbindung mit der Erde halten kann. Als er verglüht war, weinten übrigens seine langjährigen Betreuer im Kontrollzentrum…“

Mehr Humus in die Böden (Michael Horsch)

Neben dem Journalisten Jay Tuck hat auch Michael Horsch seinen für die HORSCH Seminare geplanten Vortrag online gehalten. Thema war der Humusaufbau als ein interessantes Fruchtfolgeglied für Landwirte. Denn darin sieht Horsch ein neues Geschäftsmodell für die Landwirtschaft.

Hybrid-Landwirtschaft, Regenerative Landwirtschaft und Carbon Farming sind für Michael Horsch seit mehreren Jahren fundamentale Themen, auch wenn es um den Klimaschutz geht. Sein Unternehmen arbeitet schon lange intensiv an Lösungen für den zukunftsfähigen Ackerbau – aktuell beispielsweise auch durch den Ideenwettbewerb „Bodenschmiede“. In Kooperation mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und Farm & Food geht es dabei um die Suche nach Ideen und Konzepten von Landwirten, Startups und Studenten zu neuen Anbausystemen, Geschäftsmodellen und Technologien (bodenschmiede.horsch.com).

Michael Horsch startete seinen Vortrag mit folgendem Statement des VW-Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess zur CO2-Steuer in Europa: „Ein gerechter Preis für eine Tonne CO2 sind 100 Euro“. Bundestag und Bundesrat hatten Ende vergangenen Jahres für Deutschland gerade mal einen Preis von 25 Euro festgelegt. Horsch berichtete von einem Gespräch mit Mitarbeitern des Skoda-Werkes nahe des HORSCH Praxisbetriebs AgroVation im tschechischen Kněžmost. „Sie rechneten vor, wie sich der Kohlendioxid-Fußabdruck im „Lebenszyklus“ eines Autos zusammensetzt. Das waren sehr interessante Zahlen.“ Angesetzt werden 200.000 km für ein solches „Autoleben“. 13 % des Fußabdrucks entstehen durch die Material-Produktion bei den Lieferanten. Lediglich 2 % werden in den drei Skoda-Werken in Tschechien produziert. Insgesamt 80 % sind auf die Verbrennung von Benzin und Diesel zurückzuführen, 5 % auf das Recycling der alten Wagen. „Allein für die 2 %, die im Werk selbst entstehen, setzt Skoda ab 2021 eine Hackschnitzelmenge von 700.000 t im Jahr ein“, betonte der Unternehmer. Das entspreche einer zu durchforstenden Waldfläche von 100.000 ha. Natürlich bringe auch die Umstellung auf Batterieautos im Hinblick auf den CO2-Verbrauch große Fortschritte.

Autobauer unter Druck

Um den Geschäftssinn der Landwirte zu wecken, betrachtete Michael Horsch anschließend die Kosten für die CO2-Emissionen, die auf die Autoindustrie zukommen. „Die Skoda-Mitarbeiter haben mir einen Eindruck davon gegeben, unter welchem Druck die Autobauer stehen“, sagte er. Ab 2020 gilt in Europa: Jeder verkaufte Wagen mit Verbrennungsmotor darf maximal 95 g CO2 pro km emittieren. Für jedes Gramm mehr sind 95 Euro Strafe anzusetzen. „Die Skoda-Wagen mit Verbrennungsmotoren emittieren derzeit noch 120 g im Durchschnitt. Somit liegt die Höhe der Strafe aktuell bei rund 2.375 Euro pro Wagen. Das sind etwa 10 % des Verkaufswertes, die für jedes Auto abgeführt werden müssen.“ So setzen die Hersteller natürlich alles daran, den Grenzwert einzuhalten bzw. eine ausreichende Menge an Elektroautos zu verkaufen. Bei Skoda müssten 20 % der Neuwagenflotte aus E-Autos bestehen. „Der Druck ist wirklich gigantisch“, unterstreicht Horsch.
Auch bei der Produktion von Elektrofahrzeugen entstehe CO2 und zwar 16 t pro Wagen – selbst bei effizientesten und modernsten Produktionsmethoden. „Diese Summe will Skoda von vornherein beim Abverkauf neutralisieren“, weiß Michael Horsch. „Das wären gemäß der Aussage von Diess 1.600 Euro pro Auto, die er in den Herstellungspreis miteinberechnen muss. Bei einer Jahresproduktion von 300.000 kommen da sehr interessante Beträge zusammen.“ Diesen Teil des CO2-Fußabdrucks könne der Hersteller nicht mehr durch Einsparungen reduzieren. „Den kann man nur eliminieren, indem man sich freikauft, also Ablasshandel betreibt“, resümierte der 60-Jährige.

CO2-Kompensation durch Wald oder Humus?

Wie kann der Ausgleich von CO2-Emissionen in der Praxis aussehen? „An dieser Stelle wird oft vorgeschlagen, in größerem Maßstab Bäume zu pflanzen. Das heißt aber, wir müssen erst einmal einige Jahre warten, bis die frisch aufgeforsteten Gehölze eine Tonne CO2 binden können“, stellt Michael Horsch fest. „Bis die Pflanzen ausreichend Kohlendioxid aus der Luft festlegen, ist das Klima längst umgekippt, der sogenannte Tipping Point bereits überschritten.“ Er kann nicht nachvollziehen, dass Wissenschaftler und NGOs glaubhaft vertreten wollen, dass das Pflanzen von Bäumen eine angemessene Lösung wäre. Einen Teil des Treibhausgases könne man so binden, aber die Hauptlösung sei das sicherlich nicht. „Hinzu kommt, dass wir auf den aufgeforsteten Flächen auch keine Landwirtschaft betreiben können. Und das ist volkswirtschaftlich aber dringend notwendig.“
Michael Horsch stellte den zweiten Ansatz zur CO2-Kompensation vor, den er für viel wichtiger hält: „Wir betreiben Landwirtschaft, bauen Humus auf und erzeugen in diesem Zuge auch noch Nahrungsmittel. Drei Voraussetzungen sind wichtig: die Bodenbearbeitung stark zu reduzieren, Zwischenfrüchte einzusetzen und die mikrobielle Aktivität ganzheitlich zu fördern. Den Boden gezielt zu bearbeiten bedeutet, dass nicht zu viel Sauerstoff in die Horizonte gelangen darf, um ein Übermaß an Mineralisierung zu vermeiden. Eine intensive Rückverfestigung zur Steuerung des Gasaustausches ist unerlässlich. Trotzdem kann natürlich bei Bedarf auch ein Pflug sinnvoll sein. Mit Hilfe der Zwischenkulturen sollte der Boden stets begrünt werden. So haben wir gute Chancen, netto Kohlenstoff im Boden aufzubauen, auch längerfristig. Um die mikrobielle Aktivität zu fördern, muss man den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutz langfristig reduzieren. Dieses Thema möchte ich möglichst sachlich darstellen und drücke mich deshalb sehr vorsichtig aus. Wir lernen immer noch viel dazu. Klar ist: Wir brauchen die mikrobielle Aktivität unbedingt für den Humusaufbau.“
Horsch führte das Thema weiter aus: „Wir können durch die Hybrid-Landwirtschaft zwischen 5 und 10 t CO2-Äquivalent pro Jahr und Hektar im Boden durch Humusaufbau festlegen. Wenn man nun die Aussage von Herbert Diess mit 100 Euro pro CO2-Äquivalent heranzieht, dann würden die Arbeiten zum Humusaufbau durch die Landwirte einem Wert zwischen 500 und 1.000 Euro pro Hektar entsprechen.“

Nähr- und Dauerhumus

Um tiefer in die Materie einzusteigen, sei es wichtig, zwischen Nähr- und Dauerhumus zu unterscheiden. „Die Bodenkundler sollten jetzt einmal nicht so genau hinhören“, unterstrich Michael Horsch mit einem Lächeln. Seine Erfahrung sei, dass es sehr viele unterschiedliche Meinungen bei den Wissenschaftlern dazu gebe. „Deshalb nun meine Sicht der Dinge: Für mich ist der Nährhumus eine offene Humuskette und ich beschreibe die Vorgänge dazu jetzt am Beispiel der Strohreste im Boden nach der Weizenernte.“ Das Stroh habe zunächst ein C/N-Verhältnis von 80 bis 100 zu 1. Durch Bodenbearbeitung werde der Zersetzungsprozess angeschoben, nach sechs oder acht Monaten sei ein Großteil der organischen Masse abgebaut, bis zu einem C/N-Verhältnis von etwa 10 zu 1. „Dieser Nährhumus bleibt erst einmal im Boden. Bei passenden Bedingungen bauen die Mikroorganismen den Kohlenstoff weiter ab und produzieren dabei CO2. Auch die Nährstoffe wie N, P und K, die an den Kohlenstoff gebunden sind, werden im Verlauf der Mineralisierung über den Sommer freigesetzt. Dann bestelle ich den Acker erneut. Auch die Biomasse der Folgekultur geht nach der Ernte in die Zersetzung über, neuer Nährhumus entsteht.“
Um den Anteil an Nährhumus zu erhöhen, müsse der Biomasseertrag gesteigert werden. „Das heißt aber, dieser Weg ließe sich im Hinblick auf den Ablasshandel nur schwer verkaufen. Wir müssen uns deshalb mehr auf den Dauerhumus konzentrieren.“ Dabei handelt es sich nach Horschs Definition um ringförmige Kohlenstoffketten, an die im Verlauf von Zersetzungsprozessen Nährstoffe angelagert werden. Viele dieser Ringe könnten die Mikroorganismen nicht weiter zersetzen. Der Vorteil aus ackerbaulicher Sicht liegt auf der Hand: Erhöhung des Humusgehaltes im Boden und eine optimale Speichereigenschaft für wertvolle Nährstoffe und Wasser.

Mikrobielle Carbonisierung

Wie sei es nun zu schaffen, Dauerhumus durch Ackerbau anzureichern? „Zu diesem Thema habe ich einen sehr interessanten Ansatz gefunden, der mich mittlerweile fasziniert“, berichtete Michael Horsch begeistert. „Das ist die Mikrobielle Carbonisierung, kurz MC. Vieles dazu erfuhr ich übrigens von Walter Witte, einem renommierten Bodenchemiker.“ Worum geht es dabei? „Es handelt sich um eine bakterielle Kompostierung in einem einfachen Verfahren. Man bringt cellulose- und ligninhaltige organische Stoffe mit eiweißhaltigen Verbindungen im Verhältnis 50/50 zusammen. Wichtig sind das passende Mischungsverhältnis, ausreichende Feuchtigkeit und eine entsprechende Partikelgröße, damit sich die Masse gut verdichten lässt. Anschließend sollte man eine möglichst große, gut verdichtete Kompostoberfläche schaffen, bei einer Mietenhöhe von ca. 2,5 m.“ Die Temperatur in dem Kompost müsse bei etwa 50 °C liegen. So entstehe eine Grenzsituation zwischen aeroben und anaeroben Verhältnissen. Nur dann könne eine Carbonisierung auf bakterieller Basis ablaufen – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Prozess, der unter hohem Druck vonstattengeht. „An der Oberfläche lebende phototrophe Bakterien erzeugen nun Enzyme. Diese bringen wieder andere Bakterien dazu, die organischen Stoffe so zu zersetzen, dass am Ende viele ringförmige, nicht weiter abbaubare Kohlenstoffketten übrigbleiben“, fasste er die Vorgänge zusammen. Für Landwirte von großer Bedeutung: Diese Kohlenstoffverbindungen seien wasserlöslich und enthielten viele Nährstoffe aus dem Ausgangsmaterial. Zudem wird bei der mikrobiellen Carbonisierung der Kohlenstoff nicht „verbrannt“, d.h. es entsteht kaum CO2, sondern eine hohe Konzentration von C im Kompost.

Carbonisierung auf Äckern?

„Die Natur hat hier Mechanismen vorgesehen, die wir bisher nicht ausreichend beachtet haben“, stellte Horsch begeistert fest. Die wasserlöslichen Kohlenstoffringe könne man auf einen Acker ausbringen. Sie würden anschließend durch den Niederschlag eingewaschen. Die Landwirte bräuchten sie noch nicht einmal einzuarbeiten. Damit die Kulturen die Nährstoffe aufnehmen könnten, habe die Natur ebenfalls eine geniale Lösung parat: Pflanzen scheiden an ihren Wurzeln Säuren aus, um diese Nährstoffe von der organischen Substanz abzuspalten.
Für Michael Horsch stellt sich die Frage: „Können wir auf unseren Äckern nicht auch für eine oberflächliche mikrobielle Carbonisierung sorgen – durch flache Bodenbearbeitung mit Einarbeiten, Anwalzen? Eine Antwort darauf habe ich noch nicht. Aber das fasziniert mich!“ Das gleiche könne man möglicherweise auch mit Gülle vornehmen.
„Fest steht, wir brauchen eine hohe mikrobielle Aktivität im Boden“, fasste er noch einmal zusammen. „Bei unseren Hauptkulturen können wir keine größeren Ertragszuwächse mehr erzielen. Somit ist die maximal mögliche Menge an Nährhumus auf unseren Äckern auch erreicht. Eine gute Möglichkeit, den Humusaufbau voranzutreiben, bieten meiner Ansicht nach die Zwischenfrüchte.“

Rückstände untersucht

Humusaufbau und Rückstandsverringerung hängen für Michael Horsch direkt zusammen. So ging er bei seinem Vortrag auch auf die Rückstandsproblematik ein. „Wir haben zu diesem Thema eigene Untersuchungen durchgeführt – zusammen mit einem Würzburger Startup, das sind Experten in der Datenauswertung, und der Hochschule Triesdorf. Auf den Weizenfeldern von 46 Kundenbetrieben in Deutschland und Tschechien nahmen wir insgesamt 371 Bodenproben und werteten sie aus. Hinzu kamen die Daten der jeweiligen Ackerschlagkarteien vergangener Jahre.“
Horsch fasste die Ergebnisse dieser Untersuchungen kurz zusammen: „In vielen Proben haben wir Spuren von Fungiziden, Insektiziden und des Wachstumsreglers CCC festgestellt. Herbizide waren nicht dabei. Das, was die Gesellschaft aktuell immer wieder bemängelt, ist hier also nicht das Problem.“ Ein Fazit aus den Ergebnissen ist für ihn: „Die Glyphosat-Hysterie ist vollkommen übertrieben. Wir sollten das Thema sauber und differenziert diskutieren – und zwar mit allen Beteiligten. Es ist keine Lösung, einfach nur radikal auf ein Verbot zu pochen.“ Im Zusammenhang mit dem Thema Humus sei festzuhalten: „Wenn wir auf Glyphosat verzichten müssen, dann wird es allerdings deutlich schwieriger, das Thema Humusaufbau und regenerative Landwirtschaft umzusetzen.“

Insektizide und Fungizide ersetzen

Alternativen zu Insektiziden und Fungiziden werden in der Praxis bereits erprobt und auch auf größeren Betrieben angewendet. Michael Horsch brachte ein Beispiel aus Brasilien: „Der Betriebsleiter von dem 200.000-Hektar-Betrieb Insolo – Eigentümer ist übrigens die amerikanische Harvard Universität – zeigte mir bei meinem letzten Besuch stolz ein neues Betriebsgebäude. Darin sind riesige Fermenter, dort arbeiten Mikrobiologen, es gibt eine eigene Versuchsstation und das seit fünf Jahren. Der Betrieb ist jetzt soweit, Pflanzenschutzmittel durch Biologie zu ersetzen. Und das bei der Häufigkeit an Spritzungen, die in diesem Land an der Tagesordnung stehen“, fügte Horsch erstaunt hinzu. „Mittlerweile habe ich wirklich Respekt vor solchen Menschen. Das sind Vollprofis und auch das zeigt mir: Da läuft etwas ab, mit dem wir uns befassen MÜSSEN. Auch wenn ich nicht glaube, dass wir Insektizide und Fungizide komplett durch biologische Mittel ersetzen können. In jedem Fall ist „etwas dran“ an diesen Verfahrensweisen. Und deshalb hat es großen Wert, sich damit zu beschäftigen.“ Der Ersatz durch biologische Mittel sei für Herbizide aber nicht denkbar. „Bei Direktsaat brauchen wir nach wie vor Wirkstoffe wie Glyphosat.“

Liebig-Formel umgestellt

Den Schluss seines Vortrags leitete Michael Horsch aus einem Zitat des Chemikers Justus von Liebig ab: „Ein Boden ist fruchtbar für eine gegebene Pflanzengattung, wenn er die für diese Pflanze notwendigen Nahrungsstoffe in gehöriger Menge, in dem richtigen Verhältnis und in der zur Aufnahme geeigneten Beschaffenheit enthält.“ Von Liebig ging davon aus, dass sich der Pflanzen- und Humusertrag aus dem Angebot an Nährstoffen, also der Chemie, ergebe, nachfolgend geprägt durch physikalische Bedingungen wie Temperatur und Feuchtigkeit sowie durch biologische Voraussetzungen. „Mich fasziniert der Begriff ‚in gehöriger Menge‘“, verkündete Horsch. In den vergangenen 50 Jahren habe man entsprechend der Liebig-Formel Ackerbau betrieben und Erträge erzielt, von denen der Chemiker natürlich nur träumen konnte. „Den Humusgehalt haben wir bestenfalls auf einer Höhe gehalten. Es gibt aber auch eine ganze Reihe Untersuchungen, nach denen wir bei steigenden Erträgen stetig zum Abbau gewisser Humusmengen beigetragen haben.“
Um im Sinne von Carbon Farming, regenerativer Landwirtschaft oder Hybrid-Landwirtschaft zu arbeiten, müsse die Liebig-Formel nach Horschs Ansicht umformuliert werden. Obenan sollte der Humusaufbau stehen, also die Biologie, gefolgt von der Physik und der Chemie. Aus diesem Zusammenwirken ergebe sich der Ertrag und der Humusgehalt im Boden. „Und ich wage jetzt Folgendes zu behaupten: Diese Formel ist die Zukunft des modernen Ackerbaus weltweit.“ Eine weitere stetige Ertragssteigerung im Vergleich zum heutigen Niveau halte er nicht für möglich. „Das sollte auch nicht oberstes Ziel sein. Wir werden aber auf diesem Weg den Aufbau von Dauerhumus erreichen“, prognostizierte er. Michael Horsch geht von einer Bindung von 5 t CO2 pro Hektar und Jahr aus, möglicherweise sei auch das Doppelte zu erreichen. Letzteres aber nur, wenn man sich weniger auf den Ertrag und mehr auf den Humusaufbau konzentriere. Er gab den Zuhörern mit auf den Weg: „Wir müssen unsere Vorgehensweise verändern – von der Züchtung bis zum Umgang mit Dünger und Pflanzenschutz. Auf diesem Gebiet ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Wir brauchen mehr Einblick in die biologischen Zusammenhänge im Boden, in der Wurzel, in der ganzen Pflanze und letztendlich auch im Menschen.“