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Weiterdenken

Michael Horsch

Michael Horsch sprach mit terraHORSCH über die Hybrid-Landwirtschaft im Hinblick auf den seitens der EU angekündigten Green Deal. Aber auch darüber, wie viele Möglichkeiten tatsächlich noch im Thema CO2-Speicherung im Humus stecken.

Zahlreiche Themen bewegen schon heute und sicherlich auch in Zukunft die Landwirte weltweit. Einige haben eher regionale Auswirkungen, einige sind von globaler Bedeutung. Los geht es mit der regenerativen Landwirtschaft. Hier muss man gleich zu Anfang etwas klarstellen und erklären. Wir haben begonnen, intensiv über das Thema zu berichten und nun schon viele Rückmeldungen dazu bekommen. Darunter auch Fragen wie: „Was soll denn das? Haben wir etwas verkehrt gemacht?“ Oder auch: „Müssen wir etwas reparieren?“ Denn der Begriff „regenerativ“ impliziert ja, dass irgendetwas falsch gewesen ist. Ich sage ganz klar, dass wir auf keinen Fall diesen Eindruck erwecken wollen, und wir glauben auch nicht, dass es so ist. Die beste Bezeichnung ist eine, die HORSCH schon vor einigen Jahren geprägt hat und die inzwischen branchenweit Einzug gefunden hat. Selbst in Pressemitteilungen von Agrarministerien weltweit wird inzwischen davon gesprochen, weil es Sinn macht. Es ist die Hybrid-Landwirtschaft. Wir gehen nicht rückwärts, wir gehen weiter. Und wenn wir über Hybrid-Landwirtschaft sprechen, reden wir auch über Maßnahmen, die in der regenerativen Landwirtschaft Anwendung finden. Des Weiteren sind wir gespannt, wie sich die Hybrid-Landwirtschaft weiterentwickeln wird. Erkenntnisse aus dem Öko-Bereich und Bewährtes aus der konventionellen Landwirtschaft kommen dabei zusammen und vielleicht lässt sich in Kombination mit moderner Biotechnologie eine komplett neue Form der Lebensmittelproduktion entwickeln. Hybrid-Landwirtschaft wird langfristig eine weitere Alternative zur Öko- bzw. konventionellen Landwirtschaft sein und z.B. auch im Bereich Pflanzenschutz die besten Methoden aus dem mechanischen und chemischen Pflanzenschutz nutzen.

Green Deal

Das nächste Thema, das auf uns zukommt, ist der Green Deal, den Brüssel jetzt verabschiedet hat. Der betrifft übrigens nicht nur die EU, sondern auch internationale Märkte indirekt über künftige Im- und Exporte. Nun wird diskutiert, wie man damit umgehen soll. Insgesamt über alle Industrien und Maßnahmen hinweg soll der CO2-Ausstoß in der EU bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber 1990 gesenkt werden. Das EU-Parlament hätte sogar gerne eine Reduzierung um 60 %. Darüber hinaus lautet das Ziel für 2050, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, was auch immer das heißt. Doch bis 2030 wollen wir schon 55 % der Ziele erreicht haben - in zehn Jahren. Im Green Deal gibt es eine ganze Reihe verschiedener Bereiche und Maßnahmen, wie etwa die Kreislaufwirtschaft, wo man zum Beispiel keinen Plastikmüll mehr produziert, sondern nur noch Papiermüll. In der Kreislaufwirtschaft wird übrigens auch berücksichtigt: Wie wird ein Auto recycelt, wenn es nach durchschnittlich 200.000 Kilometern kaputt ist. Was kann man wiederverwenden? Was wird weggeworfen? Da gibt es zig Unterbereiche.
Ein wichtiger und großer Bereich in diesem Green Deal ist Farm to Fork (vom Hof auf den Tisch), bestehend aus vier Kennzahlen. Punkt eins: 50 % Pflanzenschutzmittelreduktion. Ab welcher Basis gerechnet wird, wird jetzt natürlich groß diskutiert. Dann kommen 20 % Düngerreduktion. Der dritte Punkt ist: 50 % Antibiotika müssen raus aus der Tierproduktion. Klar, dass das vor allem auf die Hersteller von Chemie und Dünger einen massiven Einfluss hat. Der Umsatz geht in diesem Bereich vermutlich um bis zu 50 % zurück. Und der vierte Punkt: Bis 2050 müssen 25 % der Landwirtschaft in Europa ökologisch sein. Das sind die groben Rahmenbedingungen.

Interessant ist, dass wir uns mit diesen Themen eigentlich schon lange beschäftigen, lange bevor diese Vorgaben jetzt offiziell herausgekommen sind. Für uns und auch für viele unserer Kunden, mit denen wir ja weltweit in engem Kontakt sind, ist schon lange klar, dass wir an den Themen Pflanzenschutzreduktion oder rückstandsfreie Produktion von Grundnahrungsmitteln arbeiten müssen. Was heißt nun Hybrid-Landwirtschaft in diesem Zusammenhang? Das oberste Ziel „Ertragsmaximierung ist die einzige Form der Gewinnmaximierung“ hat in den letzten 60, 70 Jahren wunderbar funktioniert. Weiter kommen wir aber nur, wenn wir diese Denkweise aufgeben. Über Details muss man dann diskutieren. Das ist eigentlich der Kernansatz einer Hybrid-Landwirtschaft. Die Hybrid-Landwirtschaft funktioniert nur, wenn wir nicht zuallererst den absoluten Maximalertrag sehen. Was nicht heißt, dass man ihn nicht doch erreichen kann.

Weniger Fleischkonsum?

Eng damit verbunden ist auch die zentrale Frage: Was essen wir in Zukunft? Das Thema nimmt ja gesellschaftlich in Europa, USA, Kanada, aber auch z.B. Brasilien oder Russland stark an Fahrt auf. Der Fleischkonsum wird etwas zurückgefahren und dafür werden mehr pflanzliche Produkte verzehrt. In den USA könnte das ganze Thema jetzt nach dem Wahlsieg von Joe Biden und Kamala Harris übrigens noch spannender werden. Denn in ihrem Wahlprogramm beziehen sie, vor allem Vizepräsidentin Harris, die ganz klare Position, den Fleischkonsum einzuschränken bzw. zurückzufahren – vor allem im Bereich Fast- und Junkfood. Ich möchte auch gar nicht beurteilen, ob das richtig oder falsch ist. Es würde auch bei einem anderen Ausgang der US-Wahl kommen. Flexitarismus, sprich weniger Fleischkonsum, ist in vielen Ländern der Erde ein Trend – auch wenn diese natürlich nur einen Teil der gesamten Weltbevölkerung abdecken. Aber Menschen stellen ihre Ernährung um wegen der Gesundheit und/oder wegen des Klimas. Fleischersatz ist in diesem Zusammenhang genauso zu bewerten. Es wird nicht mehr die aktuelle Menge an Mais und Soja für Tierfutter benötigt. Es wird viel mehr Fläche für pflanzliche Nahrungsmittel verfügbar sein.
Ich beobachte übrigens mit großer Spannung, dass oft auch gar nicht mehr diskutiert wird, warum oder wann genau man das denn nun anpacken muss. Nein, viele diskutieren bereits, wie man es am besten macht. Und wenn ich dann über Gedanken aus der Hybrid-Landwirtschaft spreche, höre ich oft: „Ja, damit müssen wir uns beschäftigen, um nachhaltig und weiter gewinnbringend zu wirtschaften.“ Vielleicht lässt sich mit dem Thema der Rückstände in Nahrungsmitteln in einigen Ländern auch Geld verdienen. Denn die Bevölkerung möchte ja Nahrungsmittel ohne Rückstände. Und das kann man ganz genau kontrollieren. Selbst wenn das nur in Europa gewollt ist, hat es internationale Auswirkungen. Und wenn Mais aus der Ukraine oder Soja aus Brasilien kommt und es werden darin Rückstände gemessen, dann muss der Zug voll Weizen oder das Schiff voller Soja wieder umkehren. Auch das sind Themen in diesem Green Deal der EU. Natürlich gibt es auch Länder, die das zum Beispiel für Weizen als Wettbewerbsvorteil sehen können. Nehmen wir mal die Ukraine. Deren Weizen würde dann eher nach Ägypten oder China gehen. Aber wenn Europa als Importmarkt für Mais oder Soja wegfällt, hat das massive Auswirkungen auf die Rohstoffströme und auch auf den Preis. Denn wenn sich die Soja- und Maisproduzenten neue Märkte suchen, dann tun das ja alle.

Humusaufbau

Beim Thema Humusaufbau wird im Grunde genommen immer klarer, was möglich ist und was nicht. Fakt ist: Speziell wir Deutschen sind da, denke ich, auch mit führend im intensiven, modernen Ackerbau. Doch was an maximalem organischem Kohlenstoff (C-org) in unseren Ackerböden möglich ist, haben die meisten noch nicht erreicht. Der durchschnittliche Humusgehalt in unseren Ackerböden in Deutschland ist knapp unter zwei Prozent. Und der Durchschnitt bei Grünland liegt bei fünf Prozent. Wie kann es sein, dass bewirtschaftetes Grünland das Zweieinhalbfache an C-org-Gehalt hat wie Ackerboden? Das hat damit zu tun, dass das ganze Jahr über Fotosynthese läuft. Sobald es sonnig und feucht ist, wird Zucker produziert. Und ein Teil des Zuckers, je nach Pflanzengattung zwischen 10 und 30 %, wird über die Wurzelspitzen in Form von flüssigem Kohlenstoff in die Rhizosphäre und an das Bodenleben abgegeben. Dieses nimmt damit stark zu. Das Ausbreiten des Bodenlebens wird allerdings durch die Salzkonzentration (Dünger) im Boden beeinträchtigt. Das ist wissenschaftlich noch wenig erforscht, aber klar ist, dass man bei einer etwas vielfältigeren Fruchtfolge, einem hohen Anteil an Zwischenfrüchten und einer angepassten, nicht wendenden Bodenbearbeitung den C-org-Verhältnissen eines bewirtschafteten Dauergrünlandes näherkommt. Bis 0,1 % Humusaufbau pro Jahr sollte so möglich sein. Aber was hier aufgebaut wird, ist in der Regel Nährhumus – kein Dauerhumus, der sich vor allem an den Tongehalt des Bodens richtet. Das sieht man aktuell übrigens ackerbaulich in Kasachstan. Dort wurde die Schwarzbrache in den letzten 60 Jahren eher 10 cm tief gelockert – der Nährhumus ist weitestgehend verbraucht. Nun grubbert man dort teilweise mit dem Tiger bis 30 cm tief. So wollen sie jetzt an die tieferen Dauerhumusschichten ran. Hier sind noch viele Nährstoffe im Boden mineralisiert, von denen die Pflanzen beim Wachstum profitieren.