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Ein Konzept mit vielen Vorteilen

Einerseits machen sich immer mehr Landwirte Gedanken über Wege, mit der Gesellschaft in den Dialog zu kommen, andererseits aber auch über neue Einnahmemöglichkeiten. Die Direktvermarktung ermöglicht bei richtigem Einsatz beides.

Jährlich kürt der Ceres Award im deutschsprachigen Raum den „Landwirt des Jahres“. 2020 waren viele Ansätze dabei, die sich intensiv und teils kreativ mit dem Thema Direktvermarktung auseinandersetzen. Darunter zum Beispiel eine Idee, bei der Internetnutzer für 50 Euro eine Futterpatenschaft für ein Tier ihrer Wahl abschließen und dann auch mit diesem Tier eine Videokonferenz abhalten können.
Zwei Modelle mit starkem Fokus auf den Ackerbau stellen wir hier vor. Sowohl Ernst Lütje aus Wasbüttel bei Wolfsburg als auch Stefan Leichenauer aus Tengen nahe Konstanz am Bodensee sind mit regionaler Vermarktung erfolgreich. Zusammen mit Mathias Maier aus Niederbayern sind sie die drei Finalisten der Kategorie Ackerbau, die HORSCH seit vielen Jahren als Ceres-Sponsor unterstützt.

Pioniere bei Kartoffeln und Süßkartoffeln

Schon als Kinder im Sandkasten waren Ernst Lütje, Jochen Gaus und Ulrich Behrens Freunde. Die perfekte Basis also, auch heute mit mehreren GbRs höchst erfolgreich gemeinsam Geschäfte zu machen. Die Ährenwert GbR steht für 610 ha Gesamtfläche, wovon 442 ha gepachtet und 342 ha beregnungsfähig sind. Die Böden sind Pseudogley mit einer starken Spreizung von 18 bis 60 Bodenpunkten. Angebaut werden unter anderem rund 168 ha Winterweizen, 96 ha Zuckerrüben, 77 ha Sommerbraugerste, 54 ha Winterraps, 34 ha Winterroggen, 20 ha Dinkel und weitere Sorten wie Zwiebeln. Das Highlight sind hier aktuell 4 ha Süßkartoffeln. Auf den Flächen der Gaus-Lütje GbR (die ein Bestandteil der Ährenwert GbR ist), werden ausschließlich 90 ha Kartoffeln angebaut.
Der Startschuss für die Direktvermarktung fiel 1992, als die Familien Gaus und Lütje begannen, Kartoffeln anzubauen. „Diese schmeckten uns so gut, dass wir tatsächlich der Meinung waren, das müsste anderen Menschen genauso gehen. Und die Idee der Direktvermarktung war geboren“, lacht Ernst Lütje heute. „Ziel war es, die Kartoffeln so dicht wie möglich am Kunden zu vermarkten. Wir starteten mit Kartoffelselbstbedienungskisten und Hofläden in der Region. 1999 entwickelten wir ein eigenes Logo, um eine eigene regionale Marke zu etablieren. So wurde der Lebensmitteleinzelhandel auf uns aufmerksam. Durch die Rückbesinnung auf regionale Produkte und kurze Lieferwege liegen wir mit unserem Produkt auch heute voll im Trend - frei nach dem Motto: Regional ist das bessere Bio“, sagt der 46-Jährige mit Stolz.
Der Betrieb arbeitet ständig mit innovativen Ideen an der Weiterentwicklung der Vermarktung, um die Attraktivität der Kartoffel zu erhöhen und auf veränderte Kundenwünsche einzugehen. 2017 etablierte man eine bis dato in Deutschland unübliche Form der Kartoffelvermarktung im Lebensmitteleinzelhandel - ein komplett eigenes Regalsystem zum losen Verkauf von Kartoffeln. Der Kunde kann nun seine Kartoffelmenge selbst bestimmen und in einer wiederverwendbaren Papiertüte mitnehmen. Und um den Gedanken der Nachhaltigkeit zu vervollständigen, stellte der Betrieb die Plastiksäcke auf kompostierbare Kartoffelnetze aus Cellulose um. Durch den konsequenten Ausbau der Vermarktung von loser Ware in dem besonderen Regalsystem und die Umstellung auf plastikfreie Säcke konnte eine Umsatzsteigerung von 2018 zu 2019 von über 100 % im Schnitt über alle Edeka-Märkte (50 Märkte, die vom eigenen Lkw beliefert werden), erreicht werden.
„Durch Öffentlichkeitsarbeit, Kindergärten, Schulen und Betriebsbesichtigungen versuchen wir, die Gesellschaft an unserem Betrieb teilhaben zu lassen. Dabei sind Facebook, Instagram, Zeitungswerbung und unsere Website feste Bestandteile der Kommunikation mit dem Verbraucher. Und sowohl der Endkunde als auch Supermärkte schätzen unsere Sonderaufbauten in den Märkten mit Marktwagen oder alten Traktoren“, sagt Lütje, der mit den Süßkartoffeln zudem nicht nur ein Trendprodukt anbietet, sondern auch noch Pionierarbeit leistet, indem er die Kultivierung der eigentlich sehr wärmeliebenden Knollen in Deutschland stark vorantreibt. Die Anbaufläche ist stetig gewachsen und neben der reinen Süßkartoffel gehen auch Chips unter der eigenen Gaus-Lütje-Marke in die Edeka-Märkte.

Die eigene Person zur Marke gemacht

„Regional und nachhaltig ist ideal“, sagt der 41-jährige Stefan Leichenauer. Die Erzeugnisse seines 145-ha-Betriebs Lauterbachhof versucht er alle direkt zu vermarkten. Seinen E-Weizen verkauft er zum Beispiel an eine benachbarte Mühle und diese wiederum an regionale Bäcker. Bei den Fleischrindern kooperiert er mit einem Metzger vor Ort, seinen Dinkel vermarktet er an einen regionalen Nudelhersteller und für seine Sommergerste sucht er noch nach einer Brauerei. Seine Flächen liegen nicht unbedingt in einer Gunstregion – die Böden sind extrem steinig.
„Mein Opa hat mich immer mit aufs Feld mitgenommen und versucht, mir den Wert des Bodens zu erklären. Sein Spruch war immer „Du hast 17 cm Kapital - das ist Dein Boden. Vernachlässigst Du ihn, bist Du in 17 Jahren bankrott. Pflegst Du ihn, bist Du immer ein guter Bauer". Heute ist mir viel bewusster, was er mir damals sagen wollte. Mit 15 verkündete ich meinem Vater: „Ich möchte Landwirt werden“. Er hat sofort ja gesagt und meinte „Ich helfe Dir immer dabei, dass wir es schaffen“. 2001 war ich dann Landwirtschaftsmeister und wollte unbedingt Gas geben. Doch mein Vater bremste mich immer ein wenig aus. Damals habe ich es nicht verstanden. Doch 2016 hatte ich dann einen schweren Burn-out“, sagt Stefan Leichenauer heute sehr selbstbewusst. Seine Familie und vor allem seine Frau und seine zwei Söhne haben ihm zusammen mit professioneller Beratung geholfen, diese Phase durchzustehen. Inzwischen gibt er seine Erfahrungen aus dieser Zeit selbst an Berufskollegen weiter.
Wie das passieren konnte? In der Zeit bis zum Burn-out hatte er den Betrieb von 30 auf 145 ha anwachsen lassen und die Zahl der Mastbullen auf 50 erhöht. „Dass ich die Leidenschaft am Beruf wiedergefunden habe, dazu haben auch meine regionalen Projekte in der Vermarktung beigetragen. Es macht einen stolz, wenn die Menschen in der Bäckerei nach Brot mit Getreide vom Leichenauer fragen.“ Das entsteht seit einigen Jahren nun schon in Hybrid-Landwirtschaft. Der Lauterbachhof ist ein vom Land Baden-Württemberg ausgewählter Demonstrationsbetrieb für diese Form des Ackerbaus, die versucht, das Beste aus der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft zu vereinen. „Heute setze ich Bodenhilfsstoffe ein oder striegele z.B. mein Getreide. Trotz der steinigen Böden erzielen wir hier sehr gute Ernten. Und heute weiß ich die Worte meines Großvaters ganz anders einzuordnen.“ Durch seine Art des Wirtschaftens und der Vermarktung erreicht Stefan Leichenauer auch überregional eine breite Schicht in der Gesellschaft. Er hat viele Tausend Follower in den sozialen Medien und wird auch von Politikern um seine Einschätzung zum Thema Landwirtschaft der Zukunft gebeten. Viele Gespräche ergeben sich aber auch bei ihm am Hof – und zwar jeden Donnerstag. Denn dann backt seine Frau aus dem eigenen Getreide selbst verschiedene Sorten Brot. Rund 80 Laib gehen so aktuell direkt an den Verbraucher.