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Unter Kostendruck

Die Goldgräberstimmung für große landwirt­schaftliche Betriebe in Osteuropa ist definitiv vorbei. Erfolgreich ist mittler­weile nur, wer seinen Laden auf allen Ebenen im Griff hat. terraHORSCH sprach mit Florian Reitzle, Geschäfts­führer bei Balticagrar in Lettland.

Wir treffen uns mit dem Betriebs­leiter Ende September­2024 über Teams. Florian Reitzle ist entspannt. Die Aussaat hat er am Tag zuvor abge­schlossen. Jetzt kehrt auf dem reinen Acker­bau­betrieb allmählich Winter­ruhe ein. Dabei wurde erst vor Kurzem ein großer Wachstums­schritt vollzogen. „Unsere Fläche hat sich von rund 3.200 ha auf 4.500 ha vergrößert“, berichtet er. „Wir haben einen kompletten Betrieb übernommen, der nach zwei schwierigen Jahren umstrukturiert wurde. Insgesamt steht die Landwirtschaft in Lettland vor Veränderungen. Viele Landwirte ziehen sich zurück. Die Kosten­entwicklung passt einfach nicht mehr zu den Erzeuger­preisen. Dabei sind es weniger die Kleinbetriebe mit 10 oder 20 ha, die aufgeben, sondern eher die großen mit einer Fläche von 500 bis 1.000 ha. Ein weiteres Problem ist die Hof­nach­folge. Und manche haben ganz einfach unvernünftige Investitionen getätigt.“

Florian Reitzle leitet Balticagrar seit 2023. Er hat Landwirt­schaft gelernt und in Kiel studiert und schon auf einigen Betrieben international gearbeitet – sowohl mit Tier­haltung als auch ausschließ­lich mit Ackerbau. „Der erste Kontakt mit Balticagrar kam zustande, als ich als Ernte- und Aussaat­helfer 2013 in den Semester­ferien nach Lettland kam“, erinnert er sich. „Eigentlich wollte ich nach meinem Bachelor­abschluss in die Schwarzerde-Region in die Ukraine. Aber weil das 2014 während der Krim-Krise ja Kriegs­gebiet war, habe ich dann wieder hier in Lettland nachgefragt. Der Betrieb hatte gerade einiges an Fläche dazu­bekommen und der Eigentümer wollte sich aus dem operativen Geschäft zurück­ziehen und hatte einen Verwalter eingestellt. Also haben wir es gemeinsam mit einer Befristung auf ein Jahr probiert. Ich kam direkt vom Studium und konnte noch kein Wort Lettisch. Im ersten Jahr war ich Mädchen für alles, habe unter anderem Essen aufs Feld gebracht und die Traktoren betankt. Menschlich hat es gut gepasst. Der Verwalter hat sich bald ander­weitig orientiert. So war ich mehr und mehr in planerische Dinge eingebunden und konnte Vorschläge einbringen. Ab 2016 war dann klar, dass ich hier­bleibe. Als Agronom hatte ich mehr Frei­heiten und konnte Dinge ausprobieren. Manches hat funktioniert, anders manchmal nicht. 2022 stieg der Eigen­tümer dann komplett aus und übertrug mir die Geschäfts­führung. Wir stehen aber immer in engem Kontakt, denn er ist kein reiner Investor, sondern Landwirt, der wissen will, was auf dem Betrieb los ist. Ich selbst bin komplett in Lettland angekommen, habe meine Familie hier und bin sehr glücklich. Außerdem ist Deutschland nur zwei Stunden entfernt.“

Eine große Heraus­forderung sind die Mitarbeitenden. „Inklusive des Eigentümers und mir arbeiten bei uns 18 Personen. Aber nicht alle direkt in der Land­wirtschaft. Wir haben acht Traktoristen, zwei Lkw-Fahrer, eine Köchin, Personal in Verwaltung und Werkstatt sowie zusätzlich Erntehelfer. Unser Kern-Team ist top! Aber weiteres Personal zu bekommen, ist schwierig. Die Schule endet hier nach neun Jahren. Manche gehen anschließend direkt in den Beruf, andere auf eine berufs­bildende Schule. Dort lernen sie eher Theorie, haben aber auch Praktika. Am besten ist es, den Absolventen nach ihrem Abschluss Arbeit anzubieten und sie auf dem Betrieb weiter zu qualifizieren. Wichtig ist mir, dass ich nicht von oben herab führe, wie es auf Groß­betrieben im Osten auch heute noch oft üblich ist. Ich möchte, dass wir die Aufgaben gemeinsam als Team meistern. Deshalb stehen wir immer in Austausch.“

Das Jahr bei Balticagrar

Durch die kurze Vegetations­periode ist der Maschinen­bestand eher groß­zügiger ausgelegt. Balticagrar setzte früher auf einen US-amerikanischen Traktoren-Hersteller. Seit 2018 wurde komplett auf Claas umgestellt. Der Betrieb besitzt vier eigene Mähdrescher vom Typ Lexion mit 12-m-Schneidwerk.
Das landwirt­schaftliche Jahr fängt bei Balticagrar Anfang Februar an. Dann beginnen die Wartung und Instand­haltung der Maschinen. Ab dem ersten März geht der Blick von Florian Reitzle auf den Acker: „Das Streuen des Mineral­düngers beginnt. Aber um diese Zeit gibt es immer wieder Winter­einbrüche. Wenn alles gut läuft, werden in der letzten Märzwoche die Bohnen gesät, meist wird es aber Anfang April. Dann startet auch die Aussaat der Sommerungen, beginnend mit den Leguminosen. Voraus­setzung sind ausreichende Boden­temperaturen. Ist es zu kalt oder zu nass, ergibt es keinen Sinn, sonst kommt das Sommer­getreide nicht in Gang. Ab dem 20./25. April bis in die ersten Maitage hinein wird der Sommer­weizen gedrillt. Ab Mitte April startet der Pflanzen­schutz. Ca. ab dem 10. Mai beginnt bei uns die Rapsblüte. Das ist für mich die schönste Zeit des Jahres! Im Juni sind die Tage sehr lang. Wir sind ja sehr weit oben im Norden. Ab Mitte des Monats wird es dann nicht mehr richtig dunkel. Was man wissen muss: In der Zeit um die Sommer­sonnen­wende sind hier in Lettland die wichtigsten Feier­tage. Da steht alles still. Sogar in der Landwirtschaft.

Danach fängt die Vorbereitung der Ernte an. Parallel dazu organisieren wir das Ausbringen von Kalk und organischem Dünger - jedes Jahr bis zu 5.000 t. Den Transport vom eigenen Hafen­anleger frei Feld machen wir selbst. Die Ernte der Winter­gerste findet in der Regel zwischen dem 10. und dem 20. Juli statt. Das ist unsere einzige Futter­kultur, alles andere sind Nahrungs­mittel. Sie geht komplett in den Export. Dann geht es sofort mit der Raps­ernte weiter. Zusätzlich läuft die Ausbringung des organischen Düngers, das Einarbeiten mit dem Cruiser sowie ein zweiter Arbeitsgang. Ab dem 1. August beginnt die Raps­aussaat mit dem Focus. Ob wir da bereits Weizen ernten, ist meistens noch nicht so ganz klar. Wenn es schnell gehen muss, wird morgens gedroschen, mittags läuft die Scheiben­egge und abends die Drille. Agronomisch ist das sicherlich nicht ganz optimal, muss aber sein. Wintergerste nimmt bei uns etwa 5 bis 10 % der Betriebsfläche ein. So können wir das deutlich entzerren. Ende Juli/Anfang August ist das Dreschen in vollem Gange, angefangen wird mit dem Backweizen. Denn in einem nassen Sommer können die Fallzahlen schnell in den Keller gehen.

Die Ernte der Winterungen geht bis etwa 20. August. In dieser Zeit ist bei uns richtig was los: Die Mähdrescher laufen, Überladewagen sind unterwegs, organisches Material wird ausgebracht, die Boden­bearbeitung läuft, Raps und Zwischen­frucht werden gesät … Oft sind zehn bis 15 Maschinen gleichzeitig auf den Flächen unterwegs. Mein Job ist es, das alles am Laufen zu halten. Ich bin ständig mit dem Auto unterwegs und lege in einem Radius von 50 bis 60 km oft 500 km pro Tag zurück. Aber es ist mir auch extrem wichtig, alles im Blick zu haben. Ich möchte wissen, wie sich die Bestände auf den unterschiedlichen Schlägen entwickelt haben, wie die Boden­bearbeitung und die Logistik funktionieren.
Mit den Ackerbohnen endet Ende August/Anfang September die Erntezeit. In den letzten Tagen des Augusts stehen Boden­bearbeitung, das Pflügen und die Saatbett­bereitung im Vordergrund. Anfang September beginnen wir Gerste zu drillen. Die Frage ist aber immer, wie viel Fläche wir vorbereiten konnten. Dieses Jahr sind wir mit zwei Drillen gestartet und konnten 250 ha in den Boden bringen. Ich versuche, Puffer zu schaffen, teilweise Systeme im Prozess umzustellen, denn warten ist keine Option. Dann fällt das Karten­haus zusammen. Fehler in der Aussaat werden in Lettland nicht verziehen. Was man hier und heute nicht schafft, schafft man nicht morgen. Die Aussaat 2023 war katastrophal nass. Wir haben Struktur­schäden verursacht, die Wurzeln haben sich nicht gut ausgebildet und die Ernte war schwach. Dieses Jahr lief es sehr viel besser. 85 % haben wir unter trockenen Bedingungen säen können. Regen kommt dann anschließend immer. Und bisher sehen die Bestände gut aus. Bis zu einer erfolgreichen Ernte ist es aber noch ein langer Weg. Allerdings kann ich über den Winter wenig machen. Außer zu hoffen, dass keine Flut und keine starken Fröste kommen. Das Auswintern ist in Lettland immer ein Problem. Aber würde ich ständig nur daran denken, könnte ich hier keine Landwirt­schaft betreiben. Ende September läuft noch die eine oder andere Herbizid-Behandlung vor allem monokotyler Unkräuter, Kali wird ausgebracht, Flächen vorbereitet und etwas gemulcht. Kurz vor Weihnachten kehrt Ruhe auf dem Betrieb ein und im Februar geht es dann weiter.“

Logistische Herausforderung

Eine große logistische Heraus­forderung ist das Einlagern der Ernte. Vier Drescher mit einem Durchsatz von 50 t pro Stunde schaffen 1.500 t am Tag. Das Nadelöhr ist die Trocknung. Das Getreide wird zunächst auf einer Betonplatte zwischen­gelagert. Der Durchlauf­trockner hat eine Leistung von 40 t pro Stunde und läuft 24 h durch. Im Schnitt hat das Getreide bei der Ernte einen Feuchtigkeits­gehalt von 17 bis 18 %. In trockenen Jahren kann teil­weise auch ohne Brenner eingelagert werden. Der Betrieb hat die Lager­kapazität erhöht: drei Silos mit je 3.200 m3 plus zwei Hallen mit insgesamt 18.000 t Lager­kapazität. Die Silos wurden im Jahr 2021 gebaut und im Herbst erstmals befüllt. Im Februar 2022 waren vom Raps und vom Weizen jeweils noch die Hälfte unverkauft. Am Tag, als Putin in die Ukraine einmarschierte, hatte sich die Investition bereits amortisiert.
„Wir haben über 22.000 t Ernte­kapazitäten“, berichtet Florian Reitzle. „Da müssen wir einen großen Teil direkt in den Hafen bringen. Aber vor allem, wenn die Ernte nicht ideal läuft und bei den derzeitigen Finanzierungs­kosten ist das schwierig zu realisieren. Nächstes Jahr werden wir mit fünf Dreschern arbeiten. Da bekommen wir wahrscheinlich ein Kapazitäts­problem, das wir aber sicherlich lösen werden“, meint der Betriebs­leiter lachend.

Erfahrungen mit HORSCH

Mit Technik von HORSCH arbeitet Balticagrar bereits seit dem Jahr 2006. 2005/2006 war man ausgewintert und brauchte eine leistungs­starke Drille. Die Pronto war die erste ihrer Art in Lettland. 2012 kamen die ersten Maschinen von Leeb. Sie wurden noch unter diesem Namen bestellt, aber bereits als HORSCH Leeb ausgeliefert. „Anfangs war es etwas schwierig, aber durch einen super Service und viel persönlichen Einsatz - auch von Theo Leeb – haben wir alles in den Griff bekommen. 2020 kamen zwei HORSCH Leeb 12 TD und im Frühjahr 2024 ein Selbst­fahrer vom Typ PT. Alleine wäre letztere Investition nur schwer zu stemmen gewesen, aber wir wurden bei der Anschaffung durch die EU gefördert. Jetzt haben wir deutlich mehr Kapazitäten und sind technisch auf einem Top-Stand.

Mit dem Sprinter arbeiten wir seit diesem Frühjahr. Den Ausschlag dafür gab die sich bereits abzeichnende Flächen­erweiterung. Aber auch die Lehre aus dem nassen Jahr 2023, dass mehr Drill­kapazitäten kein Fehler sind. Wir nutzen ihn haupt­sächlich zur Direkt­saat, um wasser­sparend zu arbeiten. Zunächst konnten wir eine Vorserien­maschine bekommen, die wir umfang­reich unter den verschiedensten Bedingungen getestet und schließlich auch übernommen haben. Gut gefällt uns das breite Spektrum an verschiedenen Zinken, z.B. der Typ Ultra ThinEdge 12 mm, den wir bei Acker­bohnen für eine Sätiefe bis 8 cm verwenden. Für Getreide nutzen wir schmale und breitere Zinken bis 20 mm in leicht mit der Scheiben- oder Ketten­scheibenegge bearbeitete Böden. Wir haben hier zwar nur erste Erfahrungen – aber die diesen Herbst gesäten Bestände sehen fantastisch aus.
Für das Einarbeiten von Mist verwenden wir einen Cruiser oder eine Joker mit 12 m Arbeitsbreite. Bei der mitteltiefen Boden­bearbeitung bzw. dem zweiten Stoppel­sturz gefällt uns der schöne Mischeffekt beim Tiger XL. Da wir fast ausschließlich pfluglos arbeiten, verwenden wir für die tiefe, Krumen lockernde, nicht wendende Bodenbearbeitung von 25 bis 30 cm zwei Terrano FM.

Der Focus ist unsere Schlüssel­maschine in der Raps­aussaat. Wir lockern auf 30 cm vor und legen in einem 35-cm-Band ab. Das erste Mal bin ich ihn 2013 als Erntehelfer gefahren. Die Ergebnisse sahen damals schon ein bisschen wild aus. Schließlich kommen wir von der Pflug­saat. Und wir hatten noch nicht die Schare, wie wir sie heute haben. Trotzdem haben wir damit weiter­gearbeitet. Der Raps hat sich phänomenal entwickelt und hatte einen Vorsprung, sodass er es sogar im Auswinterung­sjahr 2013/2014 geschafft hat. Das hat uns finanziell gut gestützt. Seitdem ist er gesetzt! Jetzt arbeiten wir intensiv vor, damit wir oben mehr Feinerde haben. Und durch den steilen Schar­rücken der ULD Schare werden keine Kluten nach oben transportiert. In leicht modifizierter Form drillt der Focus bei uns auch ca. 20 % des Getreides. Wir haben ihn mit einer zweiten Säschiene etwas modifiziert. Sie arbeitet asymmetrisch im Abstand von 12 zu 23 cm. Die Idee dahinter ist, dass sich die Wurzeln im lockeren Horizont ausbreiten können. Die Bestände machen etwas später zu und lüften schneller ab. In der Folge kommt es zu weniger Pilzerkrankungen.“

Perspektiven

Die Einflüsse des Ukraine-Krieges sind deutlich zu spüren. „Letztes Jahr kam viel Getreide von dort in unsere Häfen. Dieses Jahr war der Einfluss aber geringer. Den größten Einschnitt gab es jedoch beim Dünger. Gute Qualität zu ordentlichen Preisen war von einem Tag auf den anderen nicht mehr zu bekommen. Aber auch das hat sich wieder eingerenkt.“
Was die Perspektiven des Betriebes angeht, ist Florian Reitzle vorsichtig: „Vielleicht sind ja solche Größen­ordnungen wie die unseren künftig politisch gar nicht mehr gewollt und die EU zwingt uns, mit 1.000 ha-Einheiten zu arbeiten? Was uns betrifft, sind wir allem gegenüber offen. Aber was das Wachstum angeht, können wir in unserer Struktur kaum mehr größer werden. Wir haben jedoch einen hohen Anteil an eigenen Flächen und an Eigenkapital. Beides müssen wir sichern. Das gleiche gilt auch für die Erträge. Wir werden auf jeden Fall innovativ bleiben, aber nicht jeden Hype mitnehmen. Ein wichtiger Faktor bleibt die Politik. Wir würden gerne ohne Prämien und GAP arbeiten, können es aber nicht. Unsere größte Heraus­forderung 2025 wird sein, dass wir ganz einfach 1.000 ha mehr bewirtschaften.“