Weniger Mineraldünger? Ja! Aber nicht um jeden Preis
Im September 2022 fanden auf der Ferme de la Lucine die HORSCH Praxistage in Frankreich statt. Die Hauptthemen: neue Impulse bei Pflanzenernährung und Bodenmanagement.
Auf der Ferme de la Lucine im Department Haute-Marne wurden die Grunddüngergaben drastisch reduziert. Gleichzeitig wird die Entwicklung von Phosphor und Kalium im Boden genau beobachtet. Stickstoff bleibt die entscheidende Herausforderung und daher wird das Bewirtschaftungssystem auf dem Betrieb neu überdacht. Das wurde bei der Vortragsreihe anlässlich der Journées de la Lucine erörtert.
Nicolas Broutin, Präsident von Yara France, blickte zunächst auf die Ursprünge der Spannungen auf dem Düngermarkt zurück. Los ging es mit einem Anstieg der Nachfrage aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs am Ende der Corona-Krise. Mit der Energiekrise haben sie nun ein historisches Niveau erreicht. Die Produktionskosten für Stickstoffdünger sind dabei direkt an die Kosten für die Gasproduktion gekoppelt. Der Grundbestandteil von Dünger, Ammoniak, wird hergestellt, indem man den Stickstoff aus der Luft mit Wasserstoff mischt. Wasserstoff entsteht, wenn Methanmoleküle bei hoher Temperatur gebrochen werden. Laut Nicolas Broutin macht Methan, das so als Rohstoff und als brennbares Material verwendet wird, 80 bis 90 % der Produktionskosten von Dünger aus.
Durch die Energiekrise, die durch den Konflikt in der Ukraine ausgelöst wurde, hat sich der Gaspreis seit 2021 verzehnfacht. Entsprechend hat sich der Preis für Stickstoffdünger verdreifacht und die Landwirte haben ihren Verbrauch um 15 % reduziert. Ebenso haben die Düngerwerke – durch die sinkende Rentabilität – ihre Produktion in Europa um 50 % gesenkt. Die Düngerversorgung auf dem europäischen Markt wird mit Importen aus Ländern sichergestellt, in denen der Gaspreis nicht so hoch ist wie in Europa.
Neue Nutzung und CO2-neutrale Dünger
Laut Nicolas Broutin wird sich diese Situation kurzfristig nicht ändern. Punktuelle Versorgungsschwierigkeiten könnten bei Verbrauchsspitzen von Dünger entstehen oder am Ende der Saison, wenn die Läger fast leer sind. Der Präsident von Yara France rät daher, die Einkäufe aufzusplitten und die Stickstoffformen zu bevorzugen, die für die Pflanze einfacher verfügbar sind. So, und in Kombination mit einer präzisen Steuerung der Düngergaben, können laut seiner Aussage die Betriebe 10 bis 20 % Dünger einsparen. Ebenso sprach er die für 2023 geplante Markteinführung von CO2-neutralen Düngern an, bei denen Wasserstoff durch die Hydrolyse von Wasser gewonnen wird unter Verwendung von Strom und nicht mehr von Gas. Damit das funktioniert, muss man parallel dazu grünen Strom produzieren – natürlich auch CO2-neutral. Die Kosten für diese Art von Dünger sind heute zwei- bis viermal so hoch, sollten jedoch mit der Erhöhung der Produktionskapazitäten wieder sinken, wenn der Gaspreis hoch bleiben sollte. Yara strebt mittelfristig 30 % CO2-neutralen Dünger an. Für Nicolas Broutin erfordert die Entwicklung dieser Dünger intensive Gespräche mit den Endverbrauchern. Eine Erhöhung der Preise für die Endprodukte wird die Reduzierung der Nutzung fossiler Energien unterstützen. Angesprochen auf die Möglichkeit, durch Umkehrosmose flüssiges Substrat aus dem Gärrückstand der Biogasanlagen zu produzieren, betonte Nicolas Broutin, dass der Anteil an mineralischem Stickstoff zugunsten von neuen Lösungen sinken muss, die organischen Stickstoff aufwerten. Diese Lösungen müssten allerdings noch gefunden werden.
Biostimulatoren zur Optimierung der Pflanzenernährung
Es ist nichts Neues, dass Stickstoff entscheidend für die Produktivität ist. Man muss aber nicht nur die wirtschaftlichen Faktoren berücksichtigen, sondern auch die für die Umwelt. Auf dem Betrieb AgroVation im tschechischen Kněžmost versucht der HORSCH Agraringenieur Josef Stangl seit mehreren Jahren, Weizen mit 80 dt, 150 Stickstoffeinheiten und 13 % Protein zu produzieren. Dazu ist es nötig, sich intensiv mit Fruchtfolge, Fraktionierung, Stickstoffformen, Spurenelementen, aber auch mit Mikrobiologie zu beschäftigen. Die Kunden in Brasilien erforschen Methoden, um die Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel zu senken, den Indikator für die Behandlungshäufigkeit zu reduzieren und Ersatzprodukte für Insektizide und Fungizide zu finden. Bruno Reinhofer, Landwirt aus Brasilien, untersucht darüber hinaus die biologische Dynamik seiner Böden, um die Erträge zu verbessern und den Einfluss auf die Pflanzengesundheit zu senken.
Sein 15.000-ha-Betrieb, ein Teil davon ist Wald, befindet sich im Süden von Brasilien auf einer Höhe von 860 bis 1.120 m über NHN. Die Niederschläge liegen bei 1.500 mm pro Jahr. Bei zwei Ernten im Jahr baut er im Winter Gerste und Weizen an, im Sommer Soja und Mais. Außerdem schwarze Bohnen am Ende des Sommers. Die Böden bestehen aus 65 % Lehm, 25 % Schluff und 10 % Sand. Er hat selbst eine Bakterienmischung entwickelt, die er seit acht Jahren verwendet. In seinen Wäldern entnimmt er Humus und gewinnt daraus die Bakterien, aus denen er Kulturen züchtet, bevor er sie auf seine Böden ausbringt. Er hat ein eigenes Produktions- und Analyselabor, um die Qualität seiner Präparate zu kontrollieren. Es ist ein gewisses Know-how nötig, um alle Parameter der Bakterienkulturen, die mit Mehl ernährt werden, zu beherrschen (Temperatur, pH, Sauerstoff). Bruno Reinhofer kauft auch einzelne Mikroorganismen zu, allerdings nur wenn die Lieferanten genau die Nutzungsmodalitäten und -zeiträume nachweisen können. Durch das Ausbringen von Bakterien sind seine Düngekosten um 50 % gesunken. Die Erträge sind etwas weniger hoch, aber das System hat sich positiv auf die Rentabilität des Betriebs des brasilianischen Landwirts ausgewirkt. Auf die Frage aus dem Publikum, ob diese Methode mit Pflanzenschutzprodukten kompatibel sei, erklärte er, dass man in dem Fall gewisse Vorkehrungen treffen muss: Bei der Nutzung von Saatgut, das mit Fungiziden ummantelt ist, achtet er darauf, die Bakterien unter der Saatreihe zu impfen, um jeglichen Kontakt, der für das Inokulum schädlich wäre, zu vermeiden. Außerdem tragen die Bakterien, wenn sie von ausreichender Qualität sind, zum Abbau von Glyphosat bei. Hinsichtlich der Anwendung dieser Technik bei den klimatischen Bedingungen in Europa macht Bruno Reinhofer deutlich, dass jeder seine eigenen Erfahrungen auf seinem eigenen Betrieb machen muss, um diese Methode an die jeweiligen bodenklimatischen Bedingungen und das Produktionssystem anzupassen. Sein Ratschlag lautet: Mit kleinen Parzellen anfangen, um die geeigneten Inokula zu finden, und dann schrittweise erweitern.
Erst verstehen, dann handeln
Uns ist klar, dass die Landwirtschaft langfristig ohne Agrarchemie auskommen muss. Und wir stellen fest, dass die Kosten explodieren. Bruno Reinhofer berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen zu diesem Thema. Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass die Natur versuchen wird, die Anstrengungen, unsere Umwelt zu beherrschen, zu umgehen, um Diversität zu schaffen. Bevor wir unsere eigenen Regeln aufstellen, um unserem Bedürfnis nach Produktivität nachzukommen, müssen wir auf das hören, was der Boden uns sagen kann. Was sind die Lösungen dieser Welten, die wir kaum kennen: der Boden und die Mikrobiologie der Böden?
„Das, was man sieht, ist nicht das, was tatsächlich da ist!“ bestätigte der Botaniker, Mykologe und Bodenkundler Marc-André Selosse in seiner Einführung. Er ist Professor am Staatlichen Naturkundemuseum in Paris sowie an den Universitäten von Danzig (Polen) und Kunming (China). „Die Welt besteht aus Pflanzen und Tieren, aber in Wirklichkeit sind da erst einmal die Mikroben.“ Von weniger als 1 % der Mikroben kann laut des Mykologen eine Kultur angelegt werden: „Man kann die Bakterien nicht sehen, aber dank der Genetik können wir sie besser kennenlernen.“ Und ihre Rolle ist entscheidend, besonders in der Landwirtschaft.
Die Bodenbakterien nutzen die gleichen Nährstoffressourcen wie die Pflanzen. Gäbe es keine Amöben, würden sie zu stark miteinander in Wettbewerb treten. Amöben ernähren sich von Bakterien und stellen den Pflanzen Stickstoff und Phosphat zur Verfügung. Ohne Amöben, gäbe es keine Pflanzen, so die Schlussfolgerung von Marc-André Selosse.
Ein weiteres Beispiel: Die Pflanzen bestehen aus luftdurchlässigem Gewebe, das den Bakterien Platz bietet: Ein Gramm Blätter enthält 100 Millionen Bakterien. Ihr Vorhandensein lenkt die Funktionen und die Entwicklung der Lebewesen. Bei stickstoffbindenden Pflanzen ist es die Arbeit der Bakterien, die die Umwandlung von gasförmigem Stickstoff in Aminosäuren ermöglicht.
Seit Jahrtausenden nutzen Landwirte Bakterien. Darüber hinaus nimmt die Menge der Bakterien in bearbeiteten Böden zu. Die Herausforderung ist es, die Handlungsansätze zu finden, die die Produzenten nutzen können, um von den Dienstleistungen der Bakterien zu profitieren, ohne Mikrobiologe sein zu müssen. Durch die Bakterientätigkeit entstehen nicht nur Nährstoffe. Sie interagieren auch mit Krankheitserregern und können eine Verteidigungsmauer für die Pflanzen bilden (körperliches Hindernis oder Toxizität des Virus).
Bodenbearbeitung wiederum bringt Störungen mit sich. Der Pflug zerstört die Mykorrhizafäden, die durch die Symbiose zwischen Pilz und Pflanze entstehen. Die Pilze werden durch Bakterien ersetzt, die keine nährstoffbildende Wirkung haben. Ein weiterer Effekt des Pflugs ist, dass nackter Boden geschaffen wird, der zwar eine unkrautbekämpfende Wirkung hat, der aber auch auf die mikrobielle Flora wirkt und die nährstoffbildenden Ressourcen der Pilze begrenzt. Von diesem Gesichtspunkt aus empfiehlt Marc-André Selosse, unbedeckte Böden zu vermeiden, ja sogar Zwischenfrüchte aufgrund ihrer mikrobiellen Aktivität auszuwählen. Seiner Meinung nach sollte man organische Dünger bevorzugen und dann, wenn nötig, in einem zweiten Arbeitsgang mineralischen Dünger ausbringen. Die Nutzung von organischem Dünger – tierischen, aber auch menschlichen Ursprungs – auszubauen, begünstigt Mykorrhizapilze, genauso wie die Speicherung von Wasser und von Kohlenstoff. Zwei brandaktuelle Themen!
Trägt die Inokulation dazu bei, von den Leistungen der Mykorrhizapilze oder der Bakterien zu profitieren, lautete eine Frage aus dem Publikum. Dazu hat Marc-André Selosse keinen empirischen Ansatz wie den von Bruno Reinhofer. Ohne die Bestätigung durch wissenschaftliche Methoden erscheint es ihm schwierig, Mikroben in der Natur zu beherrschen. Sein Vorschlag für einen Lösungsansatz ist es, Anbaumethoden mit bekannten und bewährten Werkzeugen zu wählen, die die natürlichen Prozesse begünstigen oder so wenig wie möglich stören.
Die biologischen Mechanismen der Böden werden von der wissenschaftlichen Forschung erst seit kurzem untersucht. Was die Mikroben angeht, ist das laut Selosse noch ein unbeschriebenes Blatt. Man braucht noch viel Wissen und das Potential ist enorm. Er fügte hinzu: „Der Boden funktioniert von ganz allein. Wir müssen unsere Maßnahmen so anpassen, dass wir seine Ressourcen nutzen können.“
Fazit
Es ist unmöglich, Stickstoffdünger einfach wegzulassen – egal ob auf chemischer oder auf organischer Basis. Organische Dünger verursachen weniger Verluste, die Freisetzung hält länger an und ist zeitlich besser verteilt. Aber es ist auch schwierig, sie zu beschaffen, besonders für einen reinen Ackerbaubetrieb. Die Lösung liegt also im Aufsplitten der Düngergaben und im Verständnis für die Mechanismen der Symbiose zwischen Pflanze, Pilz und dem mikrobiellen Leben, das in unseren Böden vorhanden ist. Wenn wir diese Prozesse verinnerlicht haben, werden wir auch verstehen, wie wir die Bakterien nutzen können, ohne zu versuchen, die Natur über das vernünftige Maß hinaus zu kontrollieren. Kontrolle mag beruhigend sein. Aber die Natur braucht Vielfalt!