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Klima und Versorgungslage

Corona-Engpässe und Konflikte treiben die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe. Wetterextreme haben in den letzten Jahren zugenommen und beeinflussen dabei durch große Hitze, Überflutungen etc. die Landwirtschaft. Doch was verändert sich? Welche Einflüsse hat das Klima auf unsere Erträge? Und was müsste sich ändern, um nicht in eine Lage zu geraten, die die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln stark einschränkt? Zu diesem Thema hat sich terraHORSCH mit Michael Horsch und Frank Wechsung unterhalten.

terraHORSCH: Herr Wechsung, Sie sind am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) seit dessen Gründung tätig. Wie sehen Sie die Klimaveränderungen der letzten Jahre?
Frank Wechsung:
Wenn wir uns mit Klimaänderung und Klimafolgen beschäftigen, dann haben oder hatten wir eigentlich meist langfristige Änderungen im Hinterkopf, die im Mittel passieren. Das ist, was man unter Klima – jenseits von Wetter – versteht. Es sind die langfristigen, stabilen Trends und die gehen einher mit Fluktuationen, die sich auch in Extremen manifestieren. Was in den letzten vier Jahren passiert ist, hat uns auch überrascht. Drei Dürrejahre in Folge haben wir für Deutschland nicht erwartet. Insofern ist das ein besonderes Problem, weil sich dahinter wahrscheinlich Phänomene verbergen, die aus den Klimamodellen auch nur mit sehr viel Fantasie herausgelesen werden können. Wie es sich jetzt hier in Mitteleuropa konkret dargestellt hat, war für uns sowohl von der Ausprägung als auch von der konkreten Erscheinung überraschend. Aber damit müssen wir jetzt umgehen.
Was uns das Leben schwer macht, ist in erster Linie nicht dieses mittlere physikalische Phänomen, sondern die Veränderung der Zirkulation in der Atmosphäre. Weil sich die Temperaturgradienten verschieben, zum Beispiel zwischen den polaren Gebieten und den mittleren Gebieten oder den mittleren Gebieten und den Tropen, haben wir es mit einer Veränderung der Zirkulationssysteme zu tun. Westwindwetterlagen, die normalerweise relativ zuverlässig Regen in unsere Gebiete bringen, zirkulieren plötzlich anders. Sie werden, wenn ein stabiles Hoch über Deutschland liegt, über längere Zeit nach Norden abgedrängt. Das wird dadurch verstärkt, dass sich dieser Temperaturgradient zwischen Arktis und den Subtropen abschwächt. Diese Abschwächung des Temperaturgradienten und anderer Gradienten, auch zwischen Land und Wasser, könnte dazu führen – ist die Erklärung, die man bisher dafür hat – dass sich die Persistenz von Wetterlagen stärker ausprägt. Das ist das, was uns vor Probleme stellt und auch für andere Regionen der Welt relevant sein könnte.

terraHORSCH: Herr Horsch, nehmen Sie als Landmaschinenhersteller bei den Landwirten auch vermehrt Probleme durch klimatische Veränderungen wahr?
Michael Horsch:
Ganz klar: ja. Ich bin viel in den Ackerbauzonen dieser Welt unterwegs, u.a. in Brasilien, USA, Ost-Europa, Australien usw. Die Landwirte vor Ort berichten mir oft, dass sie ihre Erträge nicht mehr wie früher hinbekommen. Da wird viel von starker Hitze, langen Trockenheiten oder Starkregen berichtet, die die Erträge immer wieder nach unten ziehen und sehr beeinträchtigen. Ich mache das jetzt seit mehr als dreißig Jahren und in den letzten zehn Jahren nehme ich diese Ereignisse vermehrt wahr. Auch auf unseren eigenen Standorten in Europa erleben wir das immer öfter. Es gibt häufiger Trocken- oder Kälteperioden, Starkregen, Hitze oder es ist auch mal längere Zeit bewölkt – das war letztes Jahr im Juni und Juli der Fall. Da, wo es längere Zeit bewölkt war, hat natürlich auch die Photosynthese gefehlt. Wir dachten erst, wir bekommen Spitzenerträge, weil es europaweit genug geregnet hat, aber am Ende kam eine unterdurchschnittliche Ernte heraus. Auch der Krieg in der Ukraine verstärkt nur das Problem einer weltweiten Verknappung von Getreide, ist aber nicht die alleinige Ursache. Dazu kommen noch die Resistenzen, hervorgerufen durch Pflanzenschutzmittel, die auch die Erträge nicht weiter steigen lassen. Lediglich bei Mais und Soja gab es noch züchterische Fortschritte.
Meine subjektive Erklärung ist: Die Klimaveränderungen sind nicht nur Fakt, sondern schreiten auch aus der Sicht der Grundnahrungsmittelverknappung schneller als prognostiziert voran. Es ist nicht so, dass es früher keine Hitzewellen oder Trockenheit gegeben hätte. Es sind nur die Anhäufungen, die schneller hintereinanderkommen und auch extremer sind. Ich bin kein Wetterexperte. Aber das ist, was ich gefühlt in den letzten zehn Jahren auf den Ackerflächen dieser Welt sehe.

terraHORSCH: Können Sie das bestätigen, Herr Wechsung? Nehmen diese extremen Wetterlagen schneller zu als gedacht?
Frank Wechsung:
Mit diesen gehäuften Extremen beschäftigen sich am PIK mehrere Kollegen. Eine besondere Rolle spielt dabei die schon erwähnte zunehmende Persistenz von Wetterlagen. 2010 gab es in Russland eine extreme Hitzeperiode. Das Hochdruckgebiet verweilte dort sehr lange und verhinderte, dass Niederschlagsgebiete hereinzogen, was zu massiven Waldbränden durch Hitze und Trockenheit geführt hat. In Pakistan hingegen hörte es nicht mehr auf zu regnen und es gab Überschwemmungen. Hier verharrte ein Tiefdruckgebiet vor Ort. Man kann vermuten, dass es für bestimmte Regionen in der Welt, u.a. für unsere, eine Tendenz zu zunehmender Persistenz von Wetterlagen gibt. Das heißt jetzt nicht, dass es unbedingt trockener oder feuchter wird, sondern wenn sich eine Hochdrucksituation eingestellt hat, diese für sehr lange Zeit dort verweilt. Das haben wir in den letzten drei Jahren gesehen und das Gleiche gilt für Tiefdruckwetterlagen. Auch das Hochwasser im Ahrtal hat sich vom Wettergeschehen so angedeutet. Der ganze Monat war charakterisiert von einer Anströmung aus dem Südwesten, die immer wieder Niederschläge in diese Region brachte. Auch die Erzählungen von Herrn Horsch über die Probleme der Landwirte scheinen das wiederzugeben. Es sieht bisher noch nicht so aus – und hoffentlich bleibt das so – dass das Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlägt und diese drei Trockenjahre die Ankündigung waren, dass wir für Deutschland einen Wechsel in Richtung trockeneres Klima bekommen. Womit wir wahrscheinlich rechnen müssen, ist eine zunehmende Persistenz von feuchten und trockenen Wetterlagen.

terraHORSCH: Wird es durch diese extremen Wetterphänomene schwerer, die Weltbevölkerung zu ernähren?
Frank Wechsung:
Knackpunkt sind wahrscheinlich nicht so sehr die Extreme allein, sondern das Andauern von Extremen, dass wir also über mehrere Jahre mit Trockenheit zu kämpfen haben. Die Australier sind relativ erfahren, was die Auseinandersetzung mit langen Trockenphasen bzw. Wechsel von Trocken- und Regenphasen betrifft. Hier können wir lernen. Es gibt eine Witterungs- und Klimaabhängigkeit der Ertragssteigerungsrate. Ich denke, die Klimafluktuation, der Klimawandel kann dazu führen, dass in bestimmten Regionen, insbesondere wenn sie trockener werden, der Ertrag stagniert oder rückläufig ist. Damit müssen wir uns vermehrt auseinandersetzen.
Michael Horsch: Unser täglicher Kalorienbedarf wird zu siebzig Prozent nur von Getreide und Ölsaaten abgedeckt. Direkt, indem wir Reis, Weizen, Brot essen, indirekt, indem wir Nutztiere damit füttern. Dessen müssen wir uns bewusst werden. Wir müssen unsere Essgewohnheiten ändern und z.B. den Anteil an tierischen Produkten in unserer Ernährung etwas reduzieren. Viele bei uns denken, sie machen einfach ein bisschen Urban Farming und essen mehr Obst oder Gemüse. Aber das wird das Problem, vor allem in der dritten Welt, nicht beseitigen. Die Menschen dort sind auf Getreide angewiesen. Wenn sich hier die Getreidepreise aufgrund von Knappheit usw. verdoppeln oder verdreifachen, haben wir ein Problem! Wir sind auf Getreidekulturen angewiesen, um einen Großteil des Energiebedarfs der Menschen zu decken. Getreideanbau funktioniert nur in der Fläche, mit viel Sonne für Photosynthese, ausreichend Wasser und milden Temperaturen. Wenn das nicht im Verhältnis steht, dann stimmt auch die Menge an Energie nicht, die wir da produzieren.
Wenn ich bei Landwirten vor Ort bin, führen wir oft Diskussionen. Viele Landwirte sagen, ihre Erträge stagnieren oder gehen zurück. Die Züchtung hat schon reagiert mit krankheits- und hitzeresistenten Sorten. Die Erträge bleiben aber bestenfalls auf dem gleichen Niveau. Unser weiteres Dilemma ist, dass wir auf der Welt nur ca. 1 Mrd. ha Ackerfläche für Getreide haben, die eher jedes Jahr kleiner wird. Und eine intensivere Flächennutzung, wie wir sie die letzten 20 Jahre (z.B. in Russland oder Ukraine) gesehen haben, ist auch nicht mehr möglich, weil mittlerweile alle schon auf hohem Niveau wirtschaften. Dazu haben auch wir beigetragen. Mit anderen Worten: Da ist einfach nicht mehr Getreide zu erwarten, wie das z.B. die letzten 100 Jahre immer der Fall war, wo Züchtung, Technik, das Haber-Bosch-Verfahren, Pflanzenschutz und Ausbildung die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln immer mehr als ausgeglichen haben.
Auch mit der zunehmenden Ökologisierung laufen wir Gefahr, die Erträge weiter zu reduzieren. Im Hinblick auf die Klimaveränderungen und unsere Umwelt, Gesundheit und Gesellschaft brauchen wir natürlich eine zunehmend ökologische Landwirtschaft, aber nur unter einer Prämisse: Die Erträge müssen wir halten. Deshalb treiben wir schon seit Jahren den Gedanken einer hybriden Landwirtschaft voran.
Bisher haben wir uns eine Agrarpolitik geleistet, die glaubte, dem Menschen gerecht zu werden. Meiner Meinung nach steht die Politik jetzt unter Druck, der Realität ins Auge zu sehen und dafür zu sorgen, dass wir nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch die Welt ernähren müssen. Durch die Veränderung des Klimas, die Pandemie und den nun hinzugekommenen Krieg in der Ukraine ist es nicht auszuschließen, dass wir uns in einer Verknappung von Grundnahrungsmitteln befinden. Aus meiner Sicht sprechen viele Anzeichen dafür.
Frank Wechsung: Naja, meines Erachtens war dieses Problem nie weg. Wir haben uns einfach der Illusion hingegeben – insbesondere in den letzten dreißig Jahren – dass wir nicht mehr diese umfassende Vorratswirtschaft betreiben müssen, wie wir es vorher gemacht haben. Ich würde da nicht von einer neuen Krise sprechen, sondern dass wir einfach wieder zu einer realistischen Einschätzung der politischen und klimatischen Möglichkeiten zurückkommen müssen und einer damit verbundenen heimisch sicherzustellenden landwirtschaftlichen Produktion.

terraHORSCH: Ist es möglich, die Getreidelager wieder zu füllen und das alles zu entzerren?
Michael Horsch:
Ich glaube, dass es unter den aktuellen Umständen schwierig wird, die Vorräte aufzufüllen. Außer das Klima meint es gut mit uns und wir bekommen zwei „fette“ Jahre, was ja auch nicht ganz auszuschließen ist!?
Frank Wechsung: Das ist möglich. Man muss es nur wollen. Wichtig ist allerdings, dass man eine Zielstellung formulieren muss. Und auch die Anreizsysteme so ausgestalten, dass sie das auch belohnen.
Und die Politik hat sich etwas daran gewöhnt, dass die Landwirtschaft keine Probleme hatte, den Tisch zu decken. Anfang der 90er hatten wir global für 365 Tage Erntevorräte in den Speichern. Im Zuge, ich sage mal, einer sehr starken Ausrichtung der Landwirtschaft an Effizienzkriterien ist das heruntergefahren worden und hat die analoge Vorsorge in Lagern ersetzt durch eine Vorsorge mittels Finanzinstrumenten. Das funktioniert nur so lange, wie alle sich an dem Spiel beteiligen. Sobald wir irgendwo mit der Versorgungslage Probleme haben, ist das Erste, was ein Land macht, einen Exportstopp zu verhängen oder Exportsteuern einzuführen. Deshalb muss die EU als großer Landwirtschaftsraum, aber auch Deutschland, einen gewissen Selbstversorgungsgrad als Zielkriterium im Auge behalten und der muss gesichert bleiben, unabhängig von irgendwelchen Moden und Konjunkturen. Das wurde auch in der Corona-Krise ausführlich diskutiert. Plötzlich hat man realisiert, dass man eben nicht alles auslagern kann, weil man dann nicht kurzfristig über die Möglichkeiten verfügt, Lieferausfälle auszugleichen. All diese Diskussionen fanden immer vor dem Hintergrund statt, dass wir es hier mit einem frei disponiblen Sektor zu tun haben und das ist eben nicht der Fall. Man hat hier Rahmenbedingungen, die man berücksichtigen muss. Auch wenn die Nahrungsmittelpreise in den letzten zwanzig, dreißig Jahren vergleichsweise niedrig waren, bei der geringsten Störung kann das explodieren, wie wir jetzt deutlich sehen.
Nehmen wir mal das jüngste Beispiel: Die drei großen Akteure am Weizenmarkt, Ukraine, Russland und Indien, sind unabhängig von der Missernte in Indien, von dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine, weiter am Agrarmarkt aktiv, exportieren was sie übrighaben. Und wenn sie nichts liefern, dann wird von anderen Ländern importiert. So stellen sich das Makroökonomen idealisiert vor. Das funktioniert in der Realität so aber nicht – jedenfalls nicht in Jahresfrist.

terraHORSCH: Was müsste sich ändern, um die Zukunft und die Ernährung zu sichern?
Michael Horsch:
Es geht auch nicht so sehr darum, dass wir in Zukunft nichts mehr zu essen haben, sondern wir müssen eine Diskussion führen, was wir in Zukunft essen. Und wir in der wohlhabenden Welt müssen unsere Essgewohnheiten verändern. Das heißt, der tierische Anteil unserer Ernährung muss herunter und der pflanzliche muss hoch. Da kann man natürlich diskutieren, um wie viel Prozent. Wenn das jetzt automatisch passiert, weil der Preis durch die Decke geht und wir als Landwirte 400, 500 Euro für die Tonne Weizen bekommen und damit das Huhn oder das Schwein einfach nicht einen Euro pro Kilo kostet, sondern zwei, drei Euro pro Kilo, dann könnte das vielleicht der beste Weg sein, damit sich das Problem relativ schnell wieder löst. Allerdings muss man im Auge behalten, dass wenn der Getreidepreis hoch bleibt, die Menschen in der dritten Welt, enorme Probleme haben werden, sich zu ernähren. Wir müssen unbedingt zusehen, dass wir auch hier eine Versorgung gewährleisten und verstärkt helfen, dass diese Länder ihre eigene Nahrungsmittelproduktion weiter ausbauen.