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Lehre für die Praxis

Die Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf – kurz: HSWT –hat zwei Standorte: den Campus Weihenstephan in Freising sowie Triesdorf. Präsident Dr. Eric Veulliet hat seit seinem Amtsantritt viele Veränderungen in Angriff genommen, damit die Hochschule internationale Sichtbarkeit bekommt und die Fakultäten näher zusammenrücken. Letztere forschen vor allem praxisbezogen und liefern so relevante Ergebnisse für Wirtschaft und Industrie.

Zur Person Eric Veulliet

Dr. Eric Veulliet ist seit Herbst 2017 Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf und beschreibt sich selbst als Neo-Tiroler-Frankengermane. „Neo-Tiroler, weil ich seit 20 Jahren auf das Jahr genau in Tirol lebe, halb Franzose und halb Deutscher bin.“

Nachdem er Geologie in Würzburg und Hydro-Geologie in Karlsruhe studiert und hier auch promoviert hat, stieg er 1993 in ein Ingenieurbüro im Bereich Altlasten- und Umweltsanierung ein. Er arbeitete in verschiedenen Unternehmen, unter anderem als Projekt- und Bereichsleiter.

„In dieser Zeit war ich ständig unterwegs und wusste zum Teil nicht, in welcher Stadt ich gerade war. Bis mir das zu viel wurde. Als 2002 das Angebot kam, in Innsbruck ein Forschungszentrum zum Thema Naturgefahren und Risikomanagement von der Pike an aufzubauen, nahm ich es an. Dieses habe ich 15 Jahre lang ausgebaut bzw. geleitet und dann zu einem Zentrum für Klimawandel Anpassungstechnologien umgebaut“. Das Ziel waren Lösungen für den Klimawandel, um dessen negativen Impact durch geeignete Technologien zu reduzieren. Doch das damals noch fehlende Bewusstsein für den Klimawandel in der Politik und Gesellschaft machte es für Eric Veulliet nicht einfach. Nach 15 Jahren wurden die Gelder für die Arbeit des Forschungszentrums stark reduziert. „Wir waren unserer Zeit weit voraus und einfach viel zu früh am Markt“. Kurz darauf stellte sich Veulliet einer neuen Herausforderung und übernahm 2017 das Amt des Präsidenten an der HSWT.

Schwerpunkte und Unterschied zur klassischen Universität

Die HSWT wurde 1971 gegründet und ist im letzten Jahr 50 Jahre alt geworden. Damals noch Fachhochschule, ist sie heute eine Hochschule für angewandte Wissenschaften, die sich auf dem besten Weg zur internationalen Sichtbarkeit und Attraktivität befindet. „Wir sind sehr gut aufgestellt und gerade dabei, eine moderne Hochschule mit allem Drum und Dran zu werden. In einem Markenbildungsprozess haben wir uns einen neuen Claim gegeben. „Applied Sciences for Life“ ist nun auch unser neues Leitbild. Bisher hieß es „Grün, innovativ, praxisnah“.

Dieser neue Claim bringt es auf den Punkt: Die HSWT widmet sich den angewandten Wissenschaften für das Leben. An den sieben Fakultäten wird u.a. zu Biotechnologie, Bioinformatik, Lebensmitteltechnologie, nachhaltigen Agrar- und Energiesystemen, Landwirtschaft uvm. gelehrt und geforscht.

Hauptaufgabe ist jedoch nicht die reine Grundlagenforschung und die Währung des Erfolges nicht ausschließlich Publikationen. Vielmehr geht es der HSWT um den Nutzen für die Region, die Gesellschaft sowie Industrie und Wirtschaft. Das sind auch die wesentlichen Unterschiede zur klassischen Universität. Weitere Unterschiede liegen z.B. in der Dauer der Bachelorstudiengänge. An der HSWT dauern diese sieben Semester, an klassischen Universitäten dauert der Bachelor nur sechs Semester. Auf das Warum hat Veulliet eine klare Antwort: „Bei uns ist ein Praxissemester in einem Unternehmen verpflichtend, damit die Studierenden eben auch den Praxisbezug bekommen. Denn die Verbindung zur Wirtschaft und der damit verbundene Austausch sind wichtig. Das macht den Unterschied, das ist unser roter Faden. Die Uni-Absolventen sind nicht schlechter ausgebildet, aber eben anders. Hier geht es mehr um die Grundlagen im wissenschaftlichen und theoretischen Bereich.“

Mit „for Life“ greift der Claim nicht nur ein lebenslanges Lernen auf, sondern auch das Lernen für das Leben, die Menschen und die Natur. Weiterbildung, so Veulliet, sei in allen Kategorien, Gesellschaftsschichten und Altersgruppen wichtig. „Wir lernen nie aus! Weiterbildung ist gerade in der Phase des disruptiven Wandels, der Digitalisierung, Internationalisierung, wahrscheinlich auch einer angepassten Globalisierung, ein Kernelement für den Erfolg einer Region“. Auch die Weiterbildung außerhalb der Ausbildung spielt eine große Rolle. Die HSWT bietet hier im neu gegründeten ZI (Zentrum für Weiterbildung) kostenpflichtige Studiengänge an, wie z.B. den Master in Tiergesundheit, die Interessierte nebenher in Teilzeit absolvieren können. Ebenfalls ist es möglich, Zertifikate zu bekommen. „Unser Team baut das Angebot hier sukzessive aus. Allerdings ist es – neben unserer staatlichen – hier eher die privatwirtschaftliche Säule. Wir organisieren Weiterbildungsangebote, die man als Kunde wahrnehmen kann, unter anderem im Bereich der Digitalisierung,  des Managements oder im Agrarbereich wie z.B. dem Herdenmanagement usw.“

Nachhaltigkeit als Kompass

Dabei ist Nachhaltigkeit die große Klammer um alles, was an der HSWT passiert und gelehrt wird. „Wir sind die Hochschule für angewandte Lebenswissenschaften, für grüne Technologien, Klimawandel und Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist unser Kompass“. Dabei hat Veulliet eine sehr bildliche Beschreibung für Nachhaltigkeit: sie sei ein Tablett mit Biergläsern. „Stellen Sie sich vor, Sie haben das Serviertablett auf der Hand. Um es zu stabilisieren, müssen sie es mit mindestens drei Fingern halten. Mit nur zwei Fingern wird die Sache ziemlich wacklig. Mit einem Finger müssen Sie Akrobat sein, um das Tablett zu halten und zu stabilisieren“.

Gemeint ist damit eine Drei-Säuligkeit bzw. der „Triple Bottom Line“ Ansatz. Dieser beschreibt, dass Nachhaltigkeit die Ausgewogenheit zwischen ökologischen, ökonomischen und Gesellschaft bzw. sozialen Aspekten ist. Die Voraussetzung ist, dass alle drei Säulen vorhanden sind – und ganz besonders wichtig, dass sie in Balance sind. So wird das System stabil gehalten. Nimmt man nur eine Säule heraus, kann man nicht erfolgreich sein und man hat am Ende einen Scherbenhaufen. „Und wenn Ihnen jemand was erzählt von ökologischer Nachhaltigkeit, dann hat er nichts davon verstanden, denn Nachhaltigkeit ist per se ökologisch“.

Die HSWT ist die erste staatliche Hochschule in Deutschland, die EMASplus zertifiziert ist. „EMASplus basiert auf dem EMAS-System (Eco Management and Audit Scheme), erweitert aber das Umweltmanagement um soziale und ökonomische Aspekte“, erklärt Veulliet. Damit hat sich die HSWT in den letzten Jahren auch zur Klimawandelhochschule entwickelt. Von 24 neuen Forschungsprofessuren fokussiert sich mittlerweile ca. ein Drittel auf das Thema Klimawandel, ein Drittel auf das Thema Landwirtschaft und Ernährung. Betrachtet man Klimawandel, Ernährung, Landwirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette, kommt man um die HSWT nicht herum. „Und das wird einer der neuen großen Schwerpunkte werden: Nachhaltigkeit, Klimawandel und Lebensmittel entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Also vom Acker bis auf den Teller. D.h. da haben wir die Versorgung, Lebensmittel, Ernährung, New Food Technology, New Food Systems und das ganze Drumherum“.

Neuer Schwerpunkt Afrika

Zudem hat die HSWT einen weiteren Schwerpunkt in Afrika gesetzt und engagiert sich in zehn bis elf Ländern. u.a. in Kenia, Uganda, Senegal, Togo, Tunesien. In einigen dieser Länder wird z.B. der Masterstudiengang International Master of Agriculture eins zu eins übernommen. Auch andere Nationen haben die Studiengänge der HSWT übernommen, in englischer, deutscher oder französischer Sprache, von Thailand bis nach Südamerika. Ein Erfolgsmodell, das weltweit bereits von 30 Universitäten und Hochschulen nach dem Vorbild der HSWT angewendet wird. „Afrika ist für mich der wichtigste Kontinent mit dem größten Potenzial in den nächsten Jahren und Jahrzehnten, in den man überhaupt im Markt einsteigen kann. Gerade im landwirtschaftlichen Kontext und im Lebensmittelbereich“.

Jedoch sind die extrem hohen Verluste entlang der Wertschöpfungskette ein großes Problem der Landwirtschaft in Afrika. Der Theorieanteil sei hier in der Ausbildung und im Studium immer noch zu hoch. „Wir haben Partner, wie z.B. Kenia, wo wir Agrar-Studierende haben, die ihre Universitäten und Hochschulen verlassen und noch nie Boden in der Hand hatten. Das theoretische Wissen ist vorhanden, aber an Praxis fehlt es hier stark. Allein die Nachernteverluste betragen dort zum Teil 40 %. Das ist erschreckend. Wie kann es sein, dass ein Land, das sowieso schon mit größter Schwierigkeit produziert dann nach der Produktion so viel vom Ertrag verliert?! Da geht es um Transport, Logistik, Lagerung, Kühlung, Weiterverarbeitung. Und da spreche ich jetzt nicht von Hightech, eher von Lowtech. Das und ein bisschen Ausbildung würden in Afrika extrem viel bewirken“. 

Es müsse etwas getan werden, um dafür Sorge zu tragen, dass Afrika in der Lage ist, sich und seine Menschen zu versorgen. „Die Landwirtschaft bzw. Lebensmittelproduktion und Selbstversorgung sind der Schlüssel – auch zur Entwicklung und zum Schutz Europas und auch aus politischer Sicht. Jeder, der den Blick für die Zukunft offen hat, weiß, dass sich die Einwohnerzahl Afrikas, die aktuell bereits bei über einer Milliarde liegt, bis Mitte des Jahrhunderts mindestens verdoppeln und bis Ende des Jahrhunderts vervierfachen wird. Im Kontext des Klimawandels sprechen wir von über 100 Millionen Menschen, die wohlmöglich zu Klimaflüchtlingen werden, wenn sie in ihren eigenen Ländern nicht mehr leben können. Die Sicherung und Lebensmittelversorgung in Afrika ist ein essenzieller Punkt für uns alle“. Dazu gehört der Export von Know-how. Wichtig sei es, auch Partner und Wirtschaftspartner mit auf diese Reise zu nehmen und Verbindungen einzugehen.

Mit der Gründung der HSWT International School sollen dann auch vermehrt internationale Studierende in Triesdorf ausgebildet werden. Diese können hier z.B. International Farm Management studieren. Im Agrarbereich hat die HSWT mittlerweile knapp 300 internationale Studierende. Ziel ist es, in Zukunft ca. 1.000 internationale Studierende pro Jahr zum Abschluss zu verhelfen, mit dem Schwerpunkt Afrika und asiatischer bzw. zentralasiatischer Raum. „Leider wissen wir aktuell noch nicht, wo wir diese unterbringen sollen. Wir brauchen ein internationales Studentenwohnheim. Wir suchen aktuell Finanziers und Leute, die uns beim Bau eines Wohnheims mit 200 Zimmern und Betten unterstützen. Die Studiengänge voll zu bekommen, ist kein Problem. Die Nachfrage nach praktischer angewandter Ausbildung im Agrar- und Lebensmittelbereich weltweit ist enorm“.

Die Verbindung zur Wirtschaft und HORSCH

Um als Hochschule praxisnah und „applied“ zu sein, braucht es eine enge Verbindung zu Unternehmen. Vor allem entlang der Wertschöpfungskette sind diese wichtige Partner.

„Einerseits wollen die Firmen natürlich auch am Markt bleiben sowie den Markt erkennen und die entsprechenden Menschen und Personalressourcen bekommen, die wichtig sind, um das Geschäft im nationalen und internationalen Kontext zu entwickeln. Die Firma HORSCH ist für mich ein Global Player – ohne zu sehr schmeicheln zu wollen – ein perfekter Mittelständler, der sich super positioniert hat und genau in diesem Segment bzw. in dieser Wertschöpfungskette tätig ist. Spezialisiert auf einen Bereich. Gerade unsere Abgänger und Abgängerinnen und unsere Themen passen da sehr gut“.

Auch Cornelia Horsch ist davon überzeugt, dass hier beide Richtungen profitieren. Sie engagiert sich bereits seit 2018 ehrenamtlich an der HSWT, um den Austausch zwischen Forschung und Lehre und den Unternehmen zu fördern und gemeinsam neue Lösungen zu finden. „Wir als Familie und als Unternehmen sehen es als gesellschaftliche Pflicht und Verantwortung an, uns in der Bildung und Ausbildung junger Menschen zu engagieren“, betont sie. „Und die Fächer, die dort studiert werden, stehen in direktem Zusammenhang mit unserer Branche. Es kommen ja auch immer wieder gut ausgebildete Absolventen und Absolventinnen aus den Universitäten und Hochschulen, die in Unternehmen wie unseres passen. Wir engagieren uns außerdem, mit bestimmten ProfessorInnen in die Forschung zu gehen und den gegenseitigen Austausch zu fördern oder Impulse und Ideen zu geben. Auch das Engagement der HSWT in Afrika ist für uns als Unternehmen sehr interessant – aus wirtschaftlicher Sicht, aber besonders auch von der Stiftungsseite her“. Die Hochschule profitiert aus dem Bedarf der Wirtschaft und könne so sehen, wo die Entwicklungen in Zukunft hingehen sollen. Und die Wirtschaft profitiert wiederum von den Erkenntnissen der Wissenschaft.

Diese Symbiose sieht auch Veulliet als sehr wichtig an. „Das stärkt Bayern als Wirtschafts-, Forschungs- und Ausbildungsstandort. Ich sehe uns da in einer wichtigen Partnerschaft, um dem nationalen und internationalen Wettbewerb standzuhalten. Manchmal ist die Wirtschaft auch schneller als wir, weil der Markt oder die Welt außerhalb der Hochschule sich schneller drehen als die Hochschule selbst. Das passiert vor allem in Prozessen des disruptiven Wandels, wie wir es momentan haben. Dann müssen wir die Geschwindigkeit der Außenwelt aufnehmen. Manchmal ist es andersrum“. Als Präsident sei es seine Aufgabe, die Geschwindigkeit zwischen Hochschule und Wirtschaft zu synchronisieren und zu versuchen, alle gleichermaßen mitzunehmen und die Veränderungen zu tragen und zu unterstützen. Wie schnell Veränderungen eintreten, hängt auch von der Unternehmenskultur und der Sozialisierung im Unternehmen ab.

„In Summe haben wir jetzt mit Lehrbeauftragten über 1.100 Mitarbeitende und über 6.000 Studierende. Das heißt, wir haben ein System mit über 7.000 Menschen. Diese große Anzahl kann man kaum auf einmal in eine Richtung bewegen. Das ist eine echte Herausforderung, macht aber auch Spaß.“

Wo wird die Reise hingehen, auch aus Forschungssicht?

Noch in diesem Jahr wird, aufbauend auf dem namensgleichen bayerischen Netzwerk, das BayFIT, Zentrum für Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern, gegründet. Dieses Zentrum wird allen bayerischen Hochschulen (und Universitäten) eine zentrale Plattform bieten, um Nachhaltigkeit in der Lehre, in der Forschung, im Wissenstransfer und im Campusbetrieb stärker zu verankern.

Zusätzlich wird – auch noch in diesem Jahr – an der HSWT das B.Life gegründet, das Kompetenzzentrum für Klimawandelmanagement, mit Schwerpunkt nachhaltige Land- und Ressourcennutzung. In der aktuellen Phase führe er Bewerbungsgespräche, um die Leitung dieses Zentrums zu besetzen und dann auch tätig werden zu können. Die Zusage, dass er für diesen Themenbereich noch weitere Ressourcen (Professuren, Finanzierung) bekommt, hat Eric Veulliet bereits erhalten.

„Ich vergleiche es gerne mit einer Waschmaschine mit Buntwäsche. Während des Waschvorgangs verknotet sich die Wäsche. So ähnlich kann man sich das System Hochschule vorstellen. Das zentrale System Hochschule, in sich schon sehr komplex und untereinander „verknotet“, wird von verschiedenen externen Treibern beeinflusst, z.B. Internationalisierung, Globalisierung, gesetzlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Klimawandel, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Diversity und Gleichstellung usw. Sie drehen mal nach links, mal nach rechts, mal schneller, mal langsamer. Die Herausforderung dabei ist es, dass die Hochschule jeweils die richtige Antwort auf diese Treiber findet – in Stärke, Ausrichtung und Erfolg“.

So wird z.B. als Reaktion auf die Herausforderung Internationalisierung u.a. die Gründung der HSWT International School und der Schwerpunkt Afrika weiterhin stark verfolgt, um angewandte, praxisnahe Bildung – ganz im Sinne des HSWT-Claims „Applied Sciences for Life“ - auch ins Ausland zu bringen.