Home » Ausgabe 23-2021 » Aus dem Unternehmen » Klima – haben wir uns verrechnet!? (Michael Horsch)

Klima – haben wir uns verrechnet!?

Die Preise für Energie oder Logistik sind stark gestiegen. Auch die Getreidepreise steigen und steigen. Durch extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Überschwemmungen oder Trockenheit leidet der Ernteertrag. Doch trotz zum Teil geringerer Erträge ist die Nachfrage gleichbleibend hoch. Michael Horsch erklärt, wie er die derzeitige Lage am Getreidemarkt einschätzt, was eine Verknappung theoretisch heißen würde und welche Gedanken man sich bei HORSCH dazu macht.

terraHORSCH: Die Situation am Getreidemarkt ist angespannt, die Preise allerdings auch. Die Nachfrage ist hoch. Das Klima macht den Landwirten und ihren Erträgen zu schaffen. Bekommen wir ein Problem?
Michael Horsch:
Erst mal vorweg: Es muss erlaubt sein, sich diese Fragen zu stellen und zu überlegen, was das bedeuten würde. So ein Szenario mal durchdenken, um Lösungen parat zu haben. Ich persönlich will jedoch noch nicht so weit gehen und glauben, dass wir da schon mittendrin sind. Aber man muss sich auch mit Zukunftsthemen auseinandersetzen und sollte nicht die Augen verschließen vor dem, was momentan passiert. Das heißt nicht, dass man dann auch gleich überreagieren muss.
Was man bei der Betrachtung eines solchen Szenarios zunächst wissen muss: Eine weitere Steigerung der weltweiten Erträge in naher Zukunft ist nicht zu erwarten. Wir haben ziemlich genau eine Milliarde Hektar Ackerfläche, auf der wir drei Milliarden Tonnen Getreide wie Mais, Weizen, Reis und sonstige Getreide sowie 500 Millionen Tonnen Ölfrüchte wie Soja, Raps, Sonnenblumen usw. erzeugen. Wir wissen, dass diese Flächen praktisch nicht mehr zunehmen werden und dass mittlerweile fast alle Ackerbauzonen dieser Welt optimal bewirtschaftet werden. Diese 3,5 Milliarden Tonnen Getreide- und Ölsaaten entsprechen ungefähr 70 % unserer gesamten Kalorienaufnahme – direkt und indirekt.
Das heißt, diese ca. 70 % des Kalorienbedarfs, die durch die Ackerfläche bzw. Getreide- und Ölsaaten gedeckt werden, sind das Wichtigste überhaupt. Es ist nicht systemkritisch, wenn es mal weniger Kartoffeln, Gemüse oder durch Frost weniger Äpfel gibt. Wenn uns die Mikrochips ausgehen, haben wir halt weniger Autos, aber wir hungern nicht. Wenn das Erdöl ausgeht, suchen wir auch Alternativen. Aber bei Grundnahrungsmitteln gibt es eben keine Alternative, die brauchen wir. Kritisch würde es also in erster Linie dann werden, wenn das Getreide knapp werden würde. Vor allem auch in der Dritten Welt.

Wir brauchen Grundnahrungsmittel. Da gibt es keine Alternative.

terraHORSCH: Was könnten Faktoren für eine Getreideknappheit sein?
Michael Horsch:
Seit Jahrzehnten sagen Klimaforscher voraus, dass sich unser Klima deutlich verändern wird und Wetterextreme zunehmen werden. Trockenheit, Hitze, Starkregen, Starkwinde – davon wird es immer mehr geben. Und jetzt merken wir: Es ist was dran an den Prognosen der Wissenschaftler. Die Extremwetterereignisse haben in den letzten fünf Jahren deutlich zugenommen, ebenso wie auch die Stärke eines jeden Ereignisses. Dass das auch Einfluss auf die Ernte hat, wenn es eine große Getreideregion erwischt, ist ja klar.
Die sogenannten Rekordernten werden mit solchen Ereignissen weniger. Es gibt natürlich auch Länder, die von den Klimaveränderungen profitieren, wie z.B. die Ukraine. Dort regnet es in den Monaten Juni und Juli mehr als vor 20 Jahren und damit sind auch die Temperaturen nicht mehr so hoch. Aber die Mehrheit der Ackerbauzonen dieser Welt leidet eher unter den Veränderungen, dazu gehört auch Westeuropa.
Beispiele, was solche Ereignisse mit unserer Ernte machen, haben wir auch dieses Jahr wieder gesehen. Vor drei Monaten gab es beispielsweise in Westkanada eine Hitzewelle mit 45-50 Grad im Schatten. Der Boden war feucht, die Landwirte sind zunächst davon ausgegangen, dass sie dieses Jahr bei Sommerweizen und -raps ein extrem gutes Jahr haben werden. Aber dem war nicht so. Die Hitze hat sehr großen Schaden angerichtet. Das Ergebnis ist, dass der Rapspreis momentan durch die Decke geht. Auch in Brasilien ist die Maisernte rund 30 % niedriger ausgefallen als erhofft. Und durch das extreme Wetter war die Ernte nicht nur geringer, sondern auch qualitativ schlechter. In Europa sind es vermehrt Starkregen und Überflutungen, in den USA oder Kanada überwiegend extreme Hitze und Trockenheit, die die Ernte beeinträchtigen. So kommt eins zum anderen. Es wird weniger geerntet, die Nachfrage und der Preis aber steigen. Aus Sicht des Landwirts kann man das mit einem weinenden und einem lachenden Auge sehen, denn auf der einen Seite wird es schwieriger, gute Erträge zu erzielen, auf der anderen Seite kann man mit höheren Preisen rechnen. Aber es steigen ja auch die Preise für Dünger und andere Rohstoffe wie Erdöl etc.
Was natürlich auch in die Höhe gehen würde, sind die Pachtpreise. Und die sinken nur schwer wieder, das hat die Vergangenheit schon gezeigt. Dann versuchen die Landwirte, ihre Erträge abzusichern und ihre Maschinen sehr differenziert zu ergänzen. So können sie optimal auf den jeweiligen Zustand des Bodens bzw. mit der notwendigen Sätechnik reagieren und eine Grundlage für eine bessere Ernte mit mehr Erträgen schaffen. Bei höheren Pachtpreisen steigen daher auch die Maschinenkapitalneuwerte!

terraHORSCH: Gibt es noch andere Einflussfaktoren für die hohen Preise?
Michael Horsch:
Sicherlich haben Corona und die hohen Erdölpreise etc. auch eine Auswirkung auf den Getreidepreis. Die Frage ist: Wie hoch ist der Einfluss tatsächlich? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns verrechnet, das Klima unterschätzt haben und es eine Verknappung gibt?

Mit einer hybriden Landwirtschaft ist es vorstellbar, auch einer Nahrungsmittelverknappung standzuhalten.

terraHORSCH: Was heißt verrechnet?
Michael Horsch:
Die USDA (United States Department of Agriculture, Landwirtschaftsministerium von Amerika) veröffentlicht monatlich Berichte mit Prognosen zu den Getreidebeständen und der globalen Angebots- und Nachfragesituation. Für die Berichte berechnet sie seit knapp 50-60 Jahren durchschnittlich den Einfluss verschiedener Faktoren, also z.B. wie viele El Niños (starke Regenfälle), wie viele Trockenperioden, Extremwetterereignisse es gab, und damit das Verhältnis für Verbrauch und Bestand usw. All dies fließt in die Statistiken mit ein, auch die letzten fünf Jahre. Aber diese fünf Jahre kommen eben in der Gesamtstatistik nur sehr weich an, weil sie mit den Daten der vergangenen 50-60 Jahre verrechnet werden. Betrachtet man die letzten Jahre allein, sieht man, dass es hier eine starke Veränderung gegeben hat.
Aus Sicht der vergangenen zwei Jahre drängt sich der Verdacht auf, dass etwas in den Statistiken und Annahmen nicht mehr stimmt. Zum Beispiel die Annahme, in China lägen gigantische Mais- und Sojabestände. Warum hat China dann mit Beginn der Corona-Pandemie hohe Mengen an Mais und Soja aufgekauft, obwohl sich der Preis verdoppelt hat? Man kann davon ausgehen, dass eventuell doch keine Bestände vorhanden sind. Wenn man schaut, wie solche Statistiken gemacht werden, versteht man das Problem schnell. Man darf natürlich auch nicht vergessen, dass die USDA eine politische Behörde ist und in einem gewissen Maß Einfluss auf die Börsen hat.
Aber mal ein Beispiel aus persönlicher Erfahrung: Anfang Juli war ich in Kontakt mit vielen Landwirten in ganz Europa. Sie alle und auch meine eigene Familie, meine Söhne und ich selbst, sind davon ausgegangen, dass es dieses Jahr eine Rekordernte gibt. Der Mai war nass und kühl, auch der Juni war kühler und etwas nass. Wir standen im Acker, haben unsere Ähren ausgerieben, die Körner angeschaut und gesagt: Die sind zwar nicht groß, aber dafür haben wir richtig viele Ähren. Vier Wochen später kam die Ernüchterung. Die Ernte fiel deutlich geringer aus als erwartet. Es war definitiv keine Missernte, aber im Vergleich zu unseren Erwartungen eben wesentlich weniger. Wenn man die ganzen Einbußen aus diesem Jahr betrachtet – damit auch die Preise wieder sinken, bräuchte es zwei absolute Rekordjahre weltweit, um wieder an die Stock to Use-Werte der USDA von 2019 heranzukommen, von denen wir letztes Jahr noch dachten, dass wir sie so haben werden.
Jetzt frage ich, wie soll eine statistische Behörde noch im Voraus abschätzen können, was kommt, wenn es nicht mal mehr wir selbst, die Landwirte mit ihrer Erfahrung können? Auch wir haben danebengelegen, uns verrechnet. Wir müssen akzeptieren und uns darauf vorbereiten, dass plötzlich auftretende Wetterextreme sich stärker auf die Ertragserwartung auswirken können als in der Vergangenheit.

terraHORSCH: Welche Lösung könnte es geben, um qualitative und quantitative Einbußen bei der Ernte zu vermeiden?
Michael Horsch:
Da stellt sich natürlich die Frage, was wir Deutschen und wir als Europäer uns agrarpolitisch vorstellen. Bisher verfolgen wir zum Beispiel den Weg der Ökologisierung der Landwirtschaft. Auch wir bei HORSCH haben das so gesehen. Aber wir müssen uns jetzt selbstkritisch fragen: Ist das noch der richtige Weg? Mit der zunehmenden Ökologisierung laufen wir Gefahr, die Menge an Getreide für Grundnahrungsmittel zu reduzieren, was die Preise weiter steigen lassen würde. Aus Sicht unserer Gesellschaft, der Umwelt und des Grundwassers macht die ökologische Ausrichtung definitiv Sinn.
Aber mit Blick auf die Preise, politische Konflikte und Dritte-Welt-Länder, die diese Preise nicht mehr zahlen können, muss man natürlich die Situation neu bewerten. Es würde nur wieder Menschen in die Flucht treiben. Wir beschreiben hier zwar grade ein hypothetisches Szenario, aber wer sagt, dass es nicht so kommen kann und uns die Realität über kurz oder lang wieder einholt?
Meines Erachtens müssen wir weiter auf eine hybride Landwirtschaft setzen. Das heißt, den Ökologisierungsgedanken nicht komplett aufgeben, sondern unter dem Gesichtspunkt der „Maximierung von Kalorien“ weiterdenken. Je mehr man versucht, die ökologische Landwirtschaft als Allheilmittel zur Rettung der Welt zu stilisieren, desto mehr macht man sie kaputt. Das sollte uns nicht passieren. Mit der hybriden Form, also klassische und ökologische Landwirtschaft vereint, ist es vorstellbar, auch einer Nahrungsmittelverknappung standzuhalten.
Außerdem, das steht auch sinngemäß im Arbeitspapier „Zukunft der Landwirtschaft“, das von der BML in Auftrag gegeben wurde*, sollten wir langsam den Fleischkonsum reduzieren. Das ist aus gesundheitlichen und klimatischen Gründen gut, aber definitiv auch aus Gründen der Nahrungsmittelverknappung.
Und was ich auch noch wichtig finde: Die Zukunft der Landwirtschaft heißt für mich auch nicht, nur Lösungen in der Digitalisierung zu suchen. Ich denke, wir müssen auch einen großen Schwerpunkt auf die Mikrobiologie legen, denn dort wird wahrscheinlich viel mehr zu finden sein, um die Probleme der Nahrungsmittelproduktion – heute und in Zukunft – quantitativ und qualitativ zu lösen. Das ist der wichtigste Teil des hybriden Gedankens, d.h. aber ganz ohne Dünger und damit eben Chemie geht es auch nicht. Das ist die optimale Balance. Wir müssen weg von einem Schwarz-Weiß-Denken.

*Bei der Ausarbeitung des Papiers hat man sich parteiübergreifend und mit verschiedenen NGOs vom Bund Naturschutz bis hin zur chemischen Industrie und dem Bauernverband darauf verständigt, wo es in Zukunft mit der Landwirtschaft hingehen soll.