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Kameraunterstützter Pflanzenschutz – die Technik ist vorhanden, doch wie weit sind wir in der praktischen Anwendung? HORSCH LEEB macht dazu seit einiger Zeit Versuche. Theo Leeb erzählt, wo die Herausforderungen liegen und wo er Chancen sieht.

Einzelpflanzenerkennung – Kamerasysteme mit Zukunft?

terraHORSCH: Wie ist bei der Einzelpflanzenerkennung der Stand der Technik?
Theodor Leeb:
Auf der Agritechnica 2019 wurden bereits von einigen Start-up-Unternehmen Kamerasysteme für Spot Spraying von Unkräutern vorgestellt. Das hat bei den Kunden, Herstellern und auch politischen Entscheidern eine gewisse Erwartungshaltung erzeugt.
Wir haben im Unternehmen in den letzten Jahren versucht, mehr Licht ins Dunkel zu bringen und zu testen, wie weit wir eigentlich sind. Spot Spraying mit optischen Sensoren oder Kameras ist ja erst mal nichts grundsätzlich Neues. Dieses Verfahren wird bereits seit ca. 20 Jahren in den typischen Direktsaatgebieten mit geringer Nie­der­schlags­men­ge wie Australien, Russland oder Kasachstan eingesetzt – und zwar im Bereich „Green on Brown“. Ein weiteres Prinzip ist „Green in Green“. Die Technik ist also vorhanden. Die Frage ist, wann und wo welches System wirklich Sinn macht.

terraHORSCH: Was heißt „Green on Brown“ und „Green in Green“?
Theodor Leeb: 
Man unterscheidet zwischen zwei Prinzipien: einmal „Green on Brown“ und „Green in Green“. Dabei entspricht braun dem Ackerboden und grün den Pflanzen, egal ob Kulturpflanze oder Unkraut. Das Thema Green on Brown, also grün auf braun, gibt es schon länger. Hier bieten einige Hersteller unter anderem Systeme zur Glyphosatausbringung vor der Aussaat an. Dies kommt vor allem in Direktsaatgebieten zum Einsatz. Beim Verfahren Green in Green, also grün in grün, unterscheidet man, was Kulturpflanze ist und was Unkraut. Weiterführend erhält man zum Teil auch Infos, welches Unkraut da wächst.
Zu der Frage, wie weit wir bei dem Thema sind: Wir haben diese Saison und auch letztes Jahr schon einige Versuche durchgeführt.
Bei Green in Green haben wir z.B. den Versuch gemacht, Disteln aus Weizen zu spritzen. Die Distel tritt in der Regel in Nestern auf und nicht auf der gesamten Feldfläche. Das wäre also ein typischer Anwendungsfall für das Spoten. In dem Versuch wollten wir herausfinden, wie genau das System die Disteln erkennt und welche Trefferquote wir haben. Grundsätzlich können wir sagen, dass das System funktioniert. Die Disteln werden erkannt, aber nur zum Teil. Die Trefferquote lag zwischen ca. 40-60 %. Da stellt sich natürlich die Frage, ob das ausreicht. In meinen Augen ist das noch weit entfernt von einer Praxisreife. Außerdem fragt man sich als Landwirt, was mit den Unkräutern ist, die noch stehen – sind die tolerabel oder nicht? Das hängt selbstverständlich auch von der Unkrautart ab, sollte aber geklärt sein.

terraHORSCH: Sind die Disteln nicht erkannt worden oder hat das System nicht schnell genug reagiert und die Disteln dadurch nicht getroffen?
Theodor Leeb:
Wir haben in dem Versuch unterschieden zwischen „erkannt, aber nicht getroffen“ oder einfach „nicht erkannt“, dann logischerweise auch nicht getroffen. Das ist aber auch eine Frage der Systemkalibrierung. Bei einem Gestänge mit 36 Metern hat man im Abstand von drei Metern insgesamt zwölf Kameras, die schräg nach vorn ausgerichtet sind. Und jeder Kamera sind die Düsen entsprechend der räumlichen Anordnung zugeordnet. Hierfür müssen die einzelnen Kamerapositionen relativ aufwendig eingemessen werden, damit die passende Düse auch genau zum richtigen Zeitpunkt öffnet.
Aber das eigentliche Problem ist eher, dass die Disteln vom System tatsächlich nicht erkannt wurden. Die größte Herausforderung sind hier unterschiedliche Lichtverhältnisse. D.h., es macht einen Unterschied, ob es bewölkt oder sonnig ist, ob man mit oder gegen die Sonne arbeiten muss usw. Und die Witterungsverhältnisse haben auch wiederum Einfluss auf die Form der Distel. Zum Beispiel rollen sich die Blätter bei starker Sonneneinstrahlung leicht auf, was zu einer wesentlich geringeren Erkennungsrate führte. Wir mussten also feststellen, dass noch Optimierungsbedarf besteht.

terraHORSCH: Wie könnte das System Green in Green verbessert werden, damit es funktioniert?
Theodor Leeb:
Man muss wissen, dass hier eine KI (Künstliche Intelligenz) dahintersteht. Damit das System die Distel immer erkennt, braucht es unglaublich viele Trainingsdaten. Man braucht Bilder und Daten von Disteln in allen Formen, bei allen Lichtverhältnissen, Wachstumsstadien, von den verschiedenen Distelarten etc. Das sind Tausende von Bildern, die „von Hand“ analysiert und „gelabelt“ werden müssen. Jedes Pixel muss richtig zugeordnet werden. Das ist ein enormer manueller Aufwand und letztlich auch der Knackpunkt. Je mehr gelabelte Bilder vorliegen, umso genauer und zuverlässiger wird das System arbeiten.

terraHORSCH: Und eine Distel ist ja im Vergleich zu anderen Pflanzen noch recht klar erkennbar.
Theodor Leeb:
Das stimmt. Für das menschliche Auge ist sie leicht erkennbar und der Mensch kann das auch differenzieren. Der Unterschied zwischen monokotylen und dikotylen Pflanzen ist ja noch recht deutlich. Aber wenn man z.B. Ackerfuchsschwanz von Weizen unterscheiden will, wird es schwer werden. Da kommen wir dann unter Umständen an die Grenzen des Machbaren.
Es gibt aber noch weitere technische Einschränkungen. Ein wichtiger Punkt ist hier die Spotgröße, also die kleinstmögliche Fläche, die besprüht werden kann. Theoretisch hätte man das größte Einsparpotential, wenn wir jedes kleine Beikraut mit einer effektiven Sprühfläche von z.B. 5x5 cm behandeln würden. Da wir aber mit Flächenspritzen arbeiten, bei denen die Düsen in einem Abstand von 50 cm oder 25 cm montiert sind, ergibt sich eine minimale Spotbreite von ca. 60 cm bzw. 35 cm je nach Düsenteilung. Da die Düsen auch nicht unendlich schnell schalten können, sind die Spots in Fahrtrichtung ca. 50 cm lang. Wenn jetzt die Unkräuter in einem Abstand kleiner 50 cm stehen, wird das System nicht mehr abschalten. Für das Einsparpotenzial ist also das Verhältnis von Spotgröße zu Unkrautbesatz entscheidend. Eine weitere Limitierung besteht durch Physik bzw. Optik. Betrachten wir z.B. Rüben: Hier ist es sehr wichtig, die Unkräuter früh zu erkennen, also wenn sie eine Größe von einem Zentimeter oder noch kleiner haben. Theoretisch ist es möglich, diese winzige Pflanze mit dem System zu erkennen, wenn man sehr langsam fahren würde und wirklich von allen Seiten draufschauen könnte. Aber in der Praxis sind Arbeitsgeschwindigkeiten von 10 km/h und mehr üblich. Um genügend Reaktionszeit zu haben, sind die Kameras schräg nach vorne ausgerichtet. Wenn jetzt aber ein größerer Erdklumpen vor dem kleinen Unkraut liegt oder eine andere größere Pflanze das Unkraut verdeckt, wird die Kamera es nicht erfassen können. Eine 100%ige Trefferquote kann man also nicht erreichen. Die Frage ist nun, was da akzeptabel ist. Reichen 90 %? Aktuell wissen wir das einfach noch nicht.

terraHORSCH: Also wird das Thema momentan durch die Trainingsdaten und die Physik limitiert.
Theodor Leeb:
Ja, aber es gibt noch eine dritte spannende Frage zu klären. In vielen Reihenkulturen ist es gute fachliche Praxis, dass nach der Aussaat ein Bodenherbizid flächig vorgelegt wird. Somit erhält man über eine gewisse Zeit einen Grundschutz. Die Unkräuter, die nach zwei bis drei Wochen auflaufen, werden dann mit blattaktiven Mitteln behandelt. Wenn ich jetzt auf das Bodenherbizid verzichte, muss ich ja logischerweise warten, bis das Unkraut gewachsen ist, damit eine Kamera es detektieren kann. Nehmen wir jetzt mal an, wir spritzen die aufgelaufenen Unkräuter mit Spot Spraying blattaktiv raus: Problematisch dabei ist, dass die blattaktiven Mittel die Kulturpflanze in ihrer Entwicklung beeinträchtigen. Ein Besprühen wird sich nicht vermeiden lassen, wenn das Unkraut z.B. nahe an der Rübe steht. Darüber hinaus laufen über die Zeit ja ständig neue Beikräuter auf. Die Frage ist also: Wie oft müssen wir eine Fläche spotten, damit z.B. ein Rübenfeld sauber bleibt? Wir haben noch nicht versucht, das Bodenherbizid wegzulassen. Aber in meinen Augen macht es keinen Sinn, auf das Bodenherbizid bei Rüben zu verzichten. Sinnvoll wäre eine Kombination, d.h. als erste Maßnahme ein flächiges Bodenherbizid und die weiteren NAKs mit kamerabasierten Spot-Spraying-Systemen. Spannend finde ich auch den Gedanken, eine gewisse Schadschwelle zu akzeptieren bzw. bestimmte Unkräuter oder Ungräser, die die Kamera klassifiziert, zu tolerieren, da sie durch eine klug gewählte Fruchtfolge in der nächsten Saison kein Problem darstellen oder dann leicht zu behandeln sind. Meiner Ansicht nach liegt hier das größte Einsparpotenzial. Allerdings braucht es hier noch einiges an Entwicklung, da neben dem reinen Erkennen auch eine Klassifizierung der Unkräuter erforderlich ist.

terraHORSCH: Jetzt haben wir das Beispiel Herbizide gehört. Könnte es andere Bereiche geben, wo man sich das vorstellen kann?
Theodor Leeb:
Bei Pflanzenkrankheiten könnte man beispielsweise bei Getreide teilflächenspezifisch Fungizide oder auch Wachstumsregler ausbringen. Dazu benötige ich aber kein so fein aufgegliedertes Spot-Spraying-System, da wir hier von größeren Bereichen sprechen. Für diese Anwendung haben wir unser Pulssystem PrecisionSpray mit variabler Aufwandmenge je 3 m Gestängeabschnitt. Aber es gibt Ansätze, mit Kameras Krankheiten zu erkennen. Die Frage ist eher, ob es dann nicht schon zu spät ist. Hier sehe ich eher den Ansatz über die Biomasse und Wettermodelle zielführender.

terraHORSCH: Wie funktioniert „Green in Brown“?
Theodor Leeb:
Hier haben wir gemeinsam mit einem Hersteller aus Frankreich Versuche durchgeführt. Das Verfahren basiert auf einer reinen Farbunterscheidung, d.h. man hat ein Kamerabild und analysiert, welche Pixel grün oder braun sind, also Pflanze oder Acker. Die grünen Bereiche werden dann gespritzt. Das hat gut funktioniert, allerdings ist dieses System in Zentraleuropa nicht so bedeutend, da wir hier vermehrt Bodenbearbeitung durchführen und auch nasse Bedingungen haben.

terraHORSCH: Können Sie das genauer erklären?
Theodor Leeb:
Auf den Hochertragsstandorten wird nach der Ernte in der Regel eine Stoppelbearbeitung durchgeführt, um das Stroh einzumischen. Nach ein paar Tagen oder Wochen laufen dann das Ausfallgetreide und Unkräuter auf. D.h., das Feld ist mehr oder weniger flächig grün. Spoten macht dann keinen Sinn, da die Pflanzen zu dicht stehen. Man müsste also die ganze Fläche behandeln und nicht nur punktuell. In Trockengebieten, in denen meist Direktsaat betrieben wird, sehe ich das anders. Nach der Ernte wird hier keine Bodenbearbeitung durchgeführt. Weil es dort sehr trocken ist, wächst auch wenig Unkraut oder Ausfallgetreide. Und da kann man schon – statt ganzflächig zu spritzen – gezielt mit einem Kamerasystem arbeiten, um z.B. mit Glyphosat zum Abspritzen der Einzelpflanzen Kosten zu sparen.
Es gibt neben Green on Brown und Green in Green noch eine weitere Unterscheidung, nämlich Offline- und Onlineverfahren. Das, was wir bisher beschrieben haben, sind Onlineverfahren, d.h. man hat die Kameras auf dem Gestänge und das System entscheidet bei der Überfahrt, ob gespritzt wird oder nicht.
Bei den Offlineverfahren erhält man die Informationen durch einen vorangegangenen Scanvorgang. In der Regel fliegt man mit einer Drohne, die mit einer hochauflösenden Kamera bestückt ist, über das Feld und scannt aus ca. 20 m Höhe die Fläche ab. Mit einem Algorithmus wird in dem hochaufgelösten Bild derzeit Unkraut von Kultur unterschieden. Dieses System liefert eine Applikationskarte mit Bereichen, die besprüht werden sollen. Diese Informationen werden dann ins Terminal der Maschine geladen und das Feld wird behandelt. Das funktioniert ähnlich wie Applikationskarten für die Düngung.
Auch mit Offline-Systemen machen wir bereits seit einiger Zeit Versuche zusammen mit einem Start-up. Grundsätzlich funktioniert das System auch, aber es gibt ein paar Hürden. Zum Beispiel muss man, wenn man spritzen will, aktuelle Daten haben. Es bringt nichts, 14 Tage vorher mit der Drohne übers Feld zu fliegen, da sich ja zwischenzeitlich der Unkrautbesatz verändern wird. Die andere Hürde ist wiederum physikalisch bedingt. Durch das absetzige Verfahren müssen die Spots größer werden, um das Unkraut zu treffen, da sich die GPS-Toleranzen der Drohne und der Spritze aufaddieren. Größere Spots bedeuten aber wiederum mehr besprühte Fläche und damit weniger Einsparungspotenzial.
Eine zusätzliche Herausforderung stellen die sehr großen Datenmengen dar. Es entstehen Gigabytes pro Hektar, die an einen Server gesendet werden, um dort berechnet zu werden. Oft kommen hier die derzeitigen Internetverbindungen an ihre Grenzen. Andererseits müssen die Applikationskarten auch wieder zurück auf das Terminal des Landwirts. Je nach Anzahl der Polygone (Spots) sind hier mit den aktuellen ISOBUS-Terminals nur weniger als 5 ha große Applikationskarten möglich.
Das heißt: Technisch oder technologisch ist das Offlineverfahren darstellbar. Für die Praxis bedarf es aber noch etwas mehr Zeit zur Optimierung der Abläufe und vor allem brauchen wir Lösungen für die großen Datenmengen. Unter Umständen müssen wir auch einen parallelen Weg zum ISOBUS finden.

terraHORSCH: Was ist Ihr Resümee aus dem Ganzen?
Theodor Leeb:
Meiner Ansicht nach ist Spot Spraying ein logischer nächster Schritt, um die künftigen Anforderungen hinsichtlich Green Deal, Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu erfüllen. Konsequenterweise kommen wir von der flächigen Behandlung über die Bandapplikation zum kleinflächigen Spot Spraying. Ziel ist immer, nur dort zu applizieren, wo es auch erforderlich ist. Hierzu kann ein kamerabasiertes System unabhängig ob online oder offline einen wertvollen Beitrag leisten.
Wir arbeiten intensiv an der Optimierung dieser Systeme und führen weitere Versuche durch, um Erfahrungen zu sammeln. Unsere Aufgabe ist dabei, das technologisch Machbare so in die Praxis zu überführen, dass die Verfahren für den Landwirt in seiner täglichen Arbeit sicher und einfach anwendbar werden. So kann Spot Spraying ein weiterer Baustein zur Optimierung des klassischen Pflanzenschutzes werden. Ich sehe aber auch die Grenzen des Machbaren, da wir auf dem Acker keine normierten, industriellen, gleichbleibenden Bedingungen haben.

Mein abschließendes Resümee: Die Natur bleibt immer noch Natur. Und die Natur lässt sich nicht in ein industrielles oder digitales Korsett zwingen.